SBB: Die Todesfalle Türe genau prüfen
Die SBB haben nach dem tödlichen Unfall eines Zugchefs den Abfertigungsprozess überprüft. Als weitere Sofortmassnahme unterzieht die Bahn alle Türen des Wagentyps EW IV einer speziellen Kontrolle. Erste Fehler hat man bereits entdeckt.
So viel sei vorweggenommen: Die tragische Unfallursache im Fall des Zugchefs Bruno R. (54) in Baden AG am 4. August 2019 ist noch nicht geklärt. Diese Aufgabe obliegt, wie immer in solchen Fällen, der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust). Doch die SBB haben Sofortmassnahmen eingeleitet.
Defekter Einklemmschutz
Den bestehenden Abfertigungsprozess (vgl. Box) haben die Bundesbahnen genau unter die Lupe genommen. Erstes Fazit: Er sei für Mitarbeitende und Reisende sicher und habe sich in der Praxis bewährt.
Nicht so toll sieht es mit dem pneumatischen Einklemmschutz der Türen bei den Einheitswagens (EW) IV aus. Stand heute, ist bekannt, dass der Klemmschutz dem Zugchef zum Verhängnis wurde. Dieser blieb eingeklemmt und wurde vom Interregio mitgeschleift, mit tödlichen Folgen. Die Schliesskraft hätte automatisch deaktiviert werden sollen, was jedoch nicht geschah.
Ganz neu ist das Problem nicht. Seit 2014 zählte man 86 Reisende, die in den Zugtüren eingeklemmt blieben, wie Patrick Hadorn, Leiter Sicherheit und Qualität, an der SBB-Medienorientierung von Mitte August erklärt hat. Die Fahrgäste trugen meist «nur» leichte bis mittelschwere Verletzungen davon, zwei Personen schwere. Die Türe wurde zudem seit 2016 auch für zehn SBB-Mitarbeitende – davon sechs Zugbegleiter – zur Einklemmfalle. Die Verletzungen seien von leichterer bis mittlerer Natur gewesen, so die SBB. Sie gaben am Medienanlass zu Protokoll, dass die Einheitswagen IV alle sieben bis zehn Tage einer Routinekontrolle unterzogen werden. Mehr noch: Alle 60 Tage wird eine spezifische Wartung pro Wagen fällig: zum Beispiel, ob die Türen ohne Widerstand schliessen. Vertieft wird dabei auch der Einklemmschutz kontrolliert. Dieser werde sogar mit einem definierten Klotz von drei Zentimeter Dicke geprüft. In regelmässigen Abständen führen die SBB zudem Unterhaltsarbeiten an den Türen aus: Die Antriebe werden beispielsweise alle 240 Tage geschmiert.
Sonderkontrolle: fünf defekte Türen entdeckt
Als Folge des tragischen Unfalls führt die Bahn jetzt eine Sonderkontrolle bei den fast 500 Einheitswagen IV durch: Geprüft werden alle Sicherheitselemente der Türen. Bis dies umgesetzt ist, wird es laut SBB sechs bis sieben Wochen dauern. Bisher hat man bei fünf Türen festgestellt, dass der Einklemmschutz versagt.
Die Bahn analysiert die gesamte Einklemmschutztechnik im Detail. Erste Tests haben einen bisher versteckten Mangel zutage gefördert. Dieser habe zur Folge, dass der Einklemmschutz bei EW-IV-Wagen im sogenannten UIC-Modus zwar funktioniere, aber weniger sensibel reagiere als vorgegeben. Über diesen versteckten Mangel haben die SBB inzwischen das Bundesamt für Verkehr und die Sicherheitsuntersuchungsstelle Sust informiert.
Wagentyp aus Verkehr ziehen?
Gestützt auf das heutige Wissen und die SBB-Sicherheitseinschätzung sei es nicht nötig, die Einheitswagen IV ausser Betrieb zu nehmen, betonten die Bundesbahnen. Der Unfall stehe, gestützt auf die laufende Sust-Untersuchung, nicht im Zusammenhang mit dem versteckten Mangel.
Der betroffene Wagentyp, der in den 1980er-Jahren angeschafft wurde, soll noch länger auf den Schienen verkehren. Die EW IV stünden bis in die 2030er-Jahre im Einsatz – ab den 2020er-Jahren allerdings nur noch als Verstärkungsmodule zusammen mit den doppelstöckigen Schnellzugwagen IC2000.
Die SBB weisen darauf hin, dass das Rollmaterial der neuen Generation im Bereich der Türen im Vergleich zum Wagentyp EW IV über weitere Sicherheitselemente wie Lichtschranken und Sensoren verfügten.
So funktioniert der Abfertigungsprozess
Der Zugbegleiter gibt dem Lokführer die Abfahrtserlaubnis per SMS oder per orangen Abfertigungskasten auf dem Perron und steigt ein. Anschliessend betätigt er die Türschliessung mittels UIC-Schliessbefehl. Die Tür, bei der der Schliessbefehl erteilt wird, bleibt dabei offen. Dann beobachtet der Zugbegleiter vom Wageninnern bei der nächsten Türe den Schliessvorgang und schliesst dann mit dem Knopf die eigene Türe. Die Verriegelungsmeldelampe im Führerstand, die bei offenen Türen leuchtet, erlischt. Der Lokführer darf nun abfahren.