Krisensituation: Eine teamspezifische Fachsprache hilft

Es ist erwiesen: Im Krisenfall verarbeitet der Mensch weniger Wörter als üblich. Eine teamspezifische Fachsprache kann im Ernstfall hilfreich sein.

Krisenkommunikation
© depositphotos, Andreus

Denken Sie nicht an einen rosa Elefanten! Wenn Ihnen das jetzt schwerfällt, sind Sie nicht alleine. Denken und Wollen driften manchmal auseinander. Grund dafür sind physiologische, psychologische und situative Faktoren, die auch in sicherheitsrelevanten Situationen wirksam sind. Das lässt sich korrigieren.

Das Beispiel mit dem rosa Elefanten zeigt, dass der Mensch Verbalisierungen in mentale Bilder transferiert. Die Fähigkeit dazu ist unterschiedlich ausgeprägt, doch nur bei sehr wenigen Menschen ganz gering vorhanden. Mentaltrainer nutzen diese Fähigkeit, um mit Visualisierungen bessere Leistungen zu erzielen. In der Sicherheitsforschung werden sogenannte «shared mental models» dazu genutzt, dass Beteiligte vom Gemeinsamen sprechen (vgl. Horn & Strohschneider 2005). Diese Bilder dienen dazu, dass die Situation adäquat erfasst wird und Missverständnisse minimiert werden. Wieso funktioniert das? Von dieser Frage ausgehend behandelt dieser Text die Grenzen der Verarbeitungsfähigkeit in belastenden Situationen und zeigt, wie Kommunikationsfehler entstehen. Zudem werden Ansätze beschrieben, wie man sich dagegen wappnen kann.

Verarbeitungsdauer und Zeitgefühl

Das menschliche Gehirn erhält jede Sekunde geschätzte 11 Milliarden Informationseinheiten. Im Bewusstsein werden davon nur rund 40 verarbeitet (vgl. Kopp 2015). Das zeigt, dass sich das Bewusstsein durch eine enorme Datenreduktion einschränkt. Diese Tatsache ist besonders in Krisensituationen relevant, wenn viele Informationen verarbeitet und rasch Entscheidungen getroffen werden müssen. Dabei gibt es Aspekte, durch welche die Situation noch verschärft wird. Dazu betrachte man die Sprachverarbeitung und den Informationsaustausch näher. In der Sprachforschung wurde festgestellt, dass Menschen rund drei Wörter pro Sekunde aufnehmen und verarbeiten. Diese Informationen werden rund fünf Sekunden im Arbeitsgedächtnis gespeichert und dabei miteinander in Bezug gesetzt. Diese Zeitdauer bezeichnet man als Gegenwartsdauer (vgl. Ungerer 1997). Was bedeutet die Zahl von rund fünf Sekunden nun?

Bei Vorträgen gibt es Redner, welche das Auditorium mit ihrem Auftritt fesseln. Bei anderen schläft man fast ein. Dabei empfinden Personen die Zeitdauer  unterschiedlich: Im einen Fall scheint die Zeit zu verfliegen, im anderen bleibt sie fast stehen. Vermutlich arbeiten die rhetorischen Fähigkeiten des langweilenden Referenten gegen die eigenen Denkweisen. Spricht diese Person in endlos langen Sätzen, dann kann man dem Inhalt nicht folgen und verliert das Interesse. Man beginnt, gedanklich abzuschweifen oder selbst unruhig zu werden. Vielleicht bemüht man sich, das Gesagte zu erinnern. In jedem Fall ist diese Situation problematisch, da Informationen nicht verarbeitet werden. Damit allerdings noch nicht genug. Es gibt in dieser Situation einen weiteren blinden Fleck, den eine betroffene Person gar nicht mitbekommt. Der sogenannte auditive Sprachausfall – Lakune genannt – führt dazu, dass das Gesprochene nicht verarbeitet wird (vgl. Ungerer 2006). Es wird quasi abgeblockt, da eine Überlastung des Verarbeitungsprozesses gegeben ist. Das während einer Lakune Gesagte fehlt komplett. Nun ist das menschliche Gehirn in der Lage, solche «Fehler» auszufüllen, ohne dass man es mitbekommt. Ein bekannter Effekt ist dabei der «blinde Fleck» des Auges. Es ist bekannt, dass an diesem Ort im Auge keine Sinneszellen liegen. Es gibt also einen Fleck in der visuellen Wahrnehmung, der keine Daten liefert. In der eigenen Wahrnehmung sieht man diese Lücke nicht. Sie wird durch die neuronale Verarbeitung ausgefüllt. Dazu werden die Reize der anliegenden Sinneszellen genutzt. Dieser Fleck wird quasi «übermalt». Dasselbe geschieht beim Hören mit dem Sinnesausfall. Die Lakune wird «überspielt». Die betroffenen Personen bekommen nicht mit, dass die Überlastung der Verarbeitung zu Informationsverlust geführt hat.

In Krisensituationen werden Informationen verpasst

Kommen wir an dieser Stelle zurück zur Gegenwartsdauer. Das ist jener Zeitraum, in dem Personen Wahrnehmungen so miteinander verbinden, dass diese quasi die Gegenwart darstellen. Vorhin wurde bereits festgestellt, dass diese rund fünf Sekunden dauert. Zeit ist relativ. Schöne Momente verfliegen, unter Zeitdruck verrinnt die Zeit. In unangenehmen Situationen scheint sie dafür stillzustehen. Auch die Gegenwartsdauer scheint durch das Zeitgefühl und die Rahmenbedingungen beeinflusst zu werden. Die Gegenwartsdauer ist keine Konstante. Sie reduziert sich unter psychischer Belastung oder auch während Phasen erhöhten Pulses. Problematisch ist dabei, dass die Gegenwartsdauer dafür verantwortlich ist, dass man einen Satz verstehen kann. Wenn der Satz länger als die Gegenwartsdauer ist, so setzt die Drosselung der Verarbeitung ein, die Lakune. Für Krisensituationen ist bedeutend, dass die Gegenwartsdauer reduziert wird. Damit ist eine geringere Verarbeitungszeit für verbale Informationen vorhanden. In der Belastung tritt die Lakune rascher ein. Man verarbeitet nicht mehr rund fünfzehn Wörter, sondern nur neun bis zwölf. Man verpasst Information! (vgl. Ungerer 2006).

Was tun?

Zwei wesentliche Faktoren sind ausschlaggebend, wenn die Informationsverarbeitung schlechter wird: aussergewöhnlich hohe Belastung und ineffiziente Kommunikationsmuster. An beidem kann man arbeiten, für beides kann mit spezifischen Trainings eine Verbesserung erzielt werden. Da beide  Themenbereiche sehr umfangreiche Ansätze bieten, wird dieser Fachbeitrag auf den Bereich der Kommunikation beschränkt werden. Wichtig ist dabei, dass erst ein stimmiges Gesamtkonzept eine hohe Effektivität gewährleisten kann. Sicherheit muss ganzheitlich gedacht werden (vgl. Hofinger 2008). Systemische Ansätze beschäftigen sich mit den Prozessen, den eingesetzten Technologien, den Menschen sowie der Interaktion dieser Bereiche. Erst das konsequente gemeinsame Betrachten aller Bereiche schafft Erfolg. In diesem Sinne ist es wichtig, dass auch die Kommunikation, dazugehörende Trainings und Übungsabläufe auf das Gesamtkonzept abgestimmt werden (vgl. Schaub 2006).

Welche Bereiche umfasst ein stimmiges Kommunikationstraining? Die Trainings haben sowohl auf der  individuellen Ebene stattzufinden, wie dies auch im Team geschehen muss (vgl. Kanki & Helmreich & Anca 2010). Erst das Sichaufeinander-Abstimmen führt zu stimmigen und strukturierten Abläufen. Zugleich dienen gemeinsame Übungen und Trainings dazu, dass sich die Mitglieder in nicht permanenten Teams besser kennenlernen und dabei Stärken und Schwächen konstruktiv nutzen. Stabsrahmenübungen oder Krisenszenarien sind klare Zuordnung von Verantwortlichkeiten und die Schaffung eines gemeinsamen Verständnisses und gemeinsamer Bilder notwendig. Zugleich entsteht eine teamspezifische Fachsprache. Diese sollte gesteuert entstehen, damit sie im Krisenfall mit externen Elementen funktional ist. Mehrdeutigkeiten führen zu Missverständnissen und zu langsamerem Verarbeiten. Dem Entwickeln einer standardisierten Kommunikation kommt in dieser Hinsicht mehr als eine Funktion zu (vgl. Horn & Strohschneider 2005).

Machen Sie einen Team-Test

Eine standardisierte Kommunikation führt zu gemeinsamen Bildern und der damit verbundenen Vorstellung zu den Begriffen. Dies sind beispielsweise die eingangs erwähnten «shared mental models» (vgl. Horn & Strohschneider 2005). Wem es gelingt, im Rahmen von Vorbereitung, Trainings und Übungen gemeinsame Bilder zu schaffen, dem helfen diese, dass das Team in der Krise vom Selben spricht. Machen Sie dazu einen Test im Team: Bitten Sie die Mitarbeitenden in fünf Minuten einen Tisch auf ein Blatt Papier zu zeichnen. Vergleichen Sie danach die Ergebnisse miteinander. Sie werden erkennen, dass zwar überall Tische abgebildet sind, jedoch in unterschiedlichen Perspektiven, Formen und Farben. Auch unterschiedliche Gegenstände werden zu sehen sein. Ähnliches trifft auf die unterschiedlichen Verständnisse von Abläufen, Prozessen oder auch Begriffen zu. In einem bestimmten Team werden zwar ähnliche und gleiche Wörter verwendet, doch sind Bilder und Verständnisse unterschiedlich.

Was bringt das Schaffen von gemeinsamen Bildern?

Zum Ersten werden semantisch eindeutige Begriffe besser verarbeitet (vgl. Ungerer 2006). Damit sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Lakune, die Teammitglieder müssen nicht überlegen, was gemeint ist. Zugleich werden durch die gemeinsamen Bilder und Begriffe die damit verbundenen Zusammenhänge rascher erfasst. Damit können diese schneller verarbeitet und besser mit der aktuellen Situation verbunden werden. Sie sparen sozusagen «Gehirnenergie» und vermeiden Missverständnisse.

Wie bindet man diese Einsichten nun in den Betriebsalltag ein?

Verbesserungsansätze – organisatorische Einbindung

Die Voraussetzung der Verbesserung der menschlichen Leistung im organisatorischen Kontext ist, dass zuerst eine umfangreiche systemische Analyse als Basis durchgeführt wurde. Die Anordnung von Instrumenten in Flugzeugen kann in Notfallsituationen Abstürze verursachen. Falsch angelegte Prozessabläufe können trotz optimaler Kommunikation zu Unfällen führen. Erst die gesamtheitliche Analyse minimiert die Gefahren (vgl. Russ et al. 2013).

In der Kommunikation selbst gilt es, klare gemeinsame Bilder und Verständnisse zu schaffen. Trainieren Sie für Belastungssituationen eine effiziente und klare Kommunikation. Keep it short and simple! Achten Sie dabei darauf, dass die Kommunikationsstrukturen aller Beteiligten so gestaltet werden, dass diese sich gegenseitig fördern und der Informationsfluss aufrecht bleiben kann. Denken Sie an das Beispiel mit dem rosa Elefanten. Kommunizieren Sie klar, was gewollt ist und welche Fakten vorhanden sind. Vermeiden Sie Negationen.

Sie können durch die Anpassung von Sprache und Kommunikation die Einschränkungen unter Belastung reduzieren. Zugleich erhöhen Sie die Effizienz im Team und verringern damit auch die Belastung selbst. Nutzen Sie für eine optimale Entwicklung eine Kombination von individuellem Training, gemeinsamen Trainings im Team und realitätsnahen Übungen, die von erfahrenem Personal begleitet und gemeinsam verbessert werden.

Autor: Dr. Karl Testor, Unternehmensberater für Führung und Kommunikation, Gründer des Instituts für Neurokognition und Führung. Als Berufsoffizier des österreichischen Bundesheeres hat er praktische Erfahrung mit Teamführung in Krisensituationen. Er lehrt und forscht an der Theresianischen Militärakademie und Landesverteidigungsakademie.

 

Quellen

  • Hofinger, G. (2008): Fehler und Unfälle. In: Badke-Schaub, P & Hofinger, G. & Lauche, K. (Hrsg.): Human Factors. Springer. S. 36–55.

  • Horn, G. & Strohschneider, S. (2005): Kommunikation im Krisenstab. In: Hofinger, G. (Hrsg.): Kommunikation in kritischen Situationen. Frankfurt am Main. Verlag für Polizeiwissenschaft. S. 101–20.

  • Kanki, B. G. & Helmreich, R. L. & Anca, J. (2010): Crew Resource Management. Academic Press, an Elsevier Imprint.

  • Kopp D. (2015): 11 Millionen vs. 40 Bit. In: Focusing. essentials. Springer, Wiesbaden. S. 27–8.

  • Russ, A. L. et al. (2013): The science of human factors: separating fact from fiction. In: BMJ Quality & Safety 2013; 22. S. 802–8.

  • Schaub, H. (2006): Störungen und Fehler beim Denken und Problemlösen. Na.

  • Ungerer, D. (1997): Stress und Führungsverhalten im Einsatz. In Mitschke T. (Hrsg.), Handbuch für Technische Einsatzleitungen. Stuttgart. Kohlhammer.

  • Ungerer, D. (2006): Stress in der Kommunikation – Erkenntnisgewinnung durch Sprachsteuerung. In: Schwan, S. & Litzcke, S. M. (Hrsg.): Nachrichtenpsychologie 4. Brühl Rheinland. Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung. S. 87–116.

 

 

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