Sicherheitstechnik mit künstlicher Intelligenz

Künstliche Intelligenz (KI), noch vor wenigen Jahrzehnten ein fast unbekannter Begriff, ist heute in aller Munde. Sie lässt sich in vielen Wissenschaften, Wirtschaftsbranchen und Lebensbereichen nachweisen. Zusammen mit der Basistechnologie der Digitalisierung bildet sie eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts.

Künstliche Intelligenz
© Robert Bosch GmbH

KI lässt sich definieren als die technische Leistung, Daten, Sensoren und Prozesse mithilfe von auf das erwünschte Ziel ausgerichteten Algorithmen zu befähigen, Muster oder Korrelationen zu erkennen, oder sogar durch ­Datenanreicherung in mehreren Schichten Erkenntnisprozesse selbstlernend durchzuführen und je nach Detektionsergebnis Alarme auszulösen oder andere Reaktionen einzuleiten. Je nach Leistungsfähigkeit werden zwei Phasen der KI unterschieden: die Mustererkennung als Ma­chine Learning und die als künstliche neuronale Netze oder Deep Learning bezeichnete Fähigkeit, mithilfe höchstauflösender Kameras und Audiosysteme oder entsprechender Sensorik die Detektion selbstlernend zu erweitern und Muster zu erkennen, die Menschen nicht einfach sehen oder hören können. KI ist in der Lage, den Menschen in Erkenntnis- und Entscheidungsprozessen wirksam zu unterstützen und seine Fähigkeiten zu ergänzen. Sie kann sogar mittels Korrelationen im Rahmen vorgegebener möglicher Kausalitäten die Wahrscheinlichkeit und anteilige Stärke einzelner Kausalitäten berechnen. Aber sie kann die menschliche Intelligenz, die systemfremde Umstände, Intuition, Wille und Kreativität in den Entscheidungsprozess einbezieht, nicht ersetzen, auch wenn Paul Thagard in seinem jüngst erschienenen Buch über «Bots and ­Beasts» (1) meint, dass der Mensch nicht der alleinige Massstab ist, wenn es um das volle Potenzial geht, das Computer dereinst vielleicht entfalten werden.

KI einzelner Technologien

Auch die Sicherheitstechnik profitiert in hohem Masse von KI. Das soll nachfolgend für bestimmte Technologien und ihre Anwendungsbereiche mit einigen Beispielen belegt werden. Allseits bekannt ist die Optimierung der Bildanalyse in der Videotechnologie durch KI. Das Spektrum der durch intelligente Algorithmen gesteuerten Bildanalyse reicht von der im Einzelfall über die Sehkraft des Menschen hinausgehenden Mustererkennung mittels hochauflösender Aufnahmen über sich selbst optimierende Lernprozesse der Erkennung von Verhaltensformen und Bildveränderungen bis hin zur auf der intelligenten Detektion basierenden, automatisierten Alarmauslösung. Prozessoren, auf denen die intelligente Datenanalyse durchgeführt wird, wandeln die Bewegtbilder direkt in der Kamera in die erforderlichen Datenformate um. (2) In der Biometrie hat KI die Gesichtserkennung revolutioniert. Mithilfe intelligenter Algorithmen erfolgt die Gesichtsbildanalyse entweder in der Kamera durch Abgleich mit einer «Blacklist» (Sperrliste) oder «Whitelist» (Freigabeliste) oder auf einem Server, ver­bunden mit dem Abgleich von Tausenden Bildern einer Datenbank. KI steigert auch die Leistungsfähigkeit der Sensortechnologie. Das gilt für Bild-, Wärme- und Infrarotkameras ebenso wie für die ­Laser-, die Radar-, die LiDAR- und die RFID-Sensorik. Die Abhängigkeit der Robotiktechnologie von KI versteht sich von selbst. Immer intelligentere Algorithmen befähigen den Sicherheitsroboter, Unregelmässigkeiten und Hindernisse wahrzunehmen, Gefahren durch Gase und andere Chemikalien aufzuspüren, solche Zustände zu dokumentieren und Reaktionen einzuleiten. Auch in die Kryptierungstechnologie hat KI Eingang gefunden. Die Quantenkryptografie gilt als absolut sicher. Jeder Lauschangriff ändert die Bitfolge des Quantencodes und führt automatisch zur Generierung eines neuen Quantenschlüssels.

Sicherheitstechnik mit künstlicher Intelligenz
Die Identitätsprüfung bei einer Zutrittskontrolle kann zusätzlich durch den Vergleich biometrischer Merkmale erfolgen. So wird aus der Zugangsberechtigung mit einer klassischen RFID-Karte eine Zwei-Faktor-Authentifizierung. Bild: depositphotos

KI in sicherheitstechnischen Anwendungen

In der Zutrittskontrolle spielt KI eine bedeutende Rolle. Die Zutrittsberechtigung wird digital auf einen RFID-Ausweis übertragen und am Eingangsterminal durch einen Update-Leser überprüft und aktualisiert. Zugangsberechtigung, et­waige Beschränkungen des Zugangs zu bestimmten, insbesondere sensiblen Innenbereichen und das Besuchermanage­ment werden miteinander verknüpft. Der Zutritt zu hochsensiblen Bereichen ist mit einer Zwei-Faktor-Authentifizierung aus­gestattet. Die Identitätsprüfung kann durch den Vergleich biometrischer Merkmale erfolgen. Die Begrüssung eines Besuchers und seine Unterstützung beim Anmeldeprozess übernimmt ein Roboter. Für die Zufahrtskontrolle ist die Kennzeichenerfassung durch Videoüberwachung ein probates Mittel. Mit dem Weitbereichsleser für Schranken, Rolltore oder Garagenzufahrten werden auf Basis von Ultrahochfrequenz Transponder auch aus dem Fahrzeug heraus gelesen.

Die Einfahrtsberechtigung lässt sich mit der Steuerung des Fahrzeugs im Kontroll­bereich und mit der Zuweisung eines Parkplatzes verknüpfen. Ein wirksamer Perimeterschutz besteht aus einer mechanischen Komponente (Mauer oder Zaun) und der elektronischen Überwachung von Angriffen durch Zerstörung oder Übersteigen. Dabei können verschiedene Sensortechnologien (Videoüberwachung, Radar, LiDAR, Verkabelung im Zaun oder unterflur) zum Einsatz kommen, die in ihren Funktionen der Detektion, der Fehlalarmresistenz und der Verfolgung ­eines eingedrungenen Täters durch KI mittels präziser Mustererkennung, Objektbestimmung, Richtungserkennung und Nachverfolgung durch vernetzte Kamerasysteme optimiert wird. Insbesondere die Kombination multispektraler PTZ-Kameras mit Radar erhöht die Erkennungswahrscheinlichkeit und reduziert Fehlalarme. (3) Die Mindestauflösungsdichte wird in der Norm DIN EN 62676-4 festgelegt. KI sorgt für eine Fehl­alarmquote nahe null. (4) In einem Intrusion Detection System werden Abschreckungsmechanismen durch Beleuchtung, Kamerasteuerung und akustische Warnungen über eine Beschallungsanlage aktiviert. Das Werksgelände, aber auch räumlich entfernte Betriebsgelände, lassen sich durch Drohnen überwachen, deren eingebaute Videotechnik mit der zuvor erläuterten KI ausgestattet ist. Die Bildinformationen können bereits während des Livestreams bewertet und manipulationssicher gespeichert werden. Die Branddetektion wird durch KI optimiert. So arbeitet zum Beispiel das Edwards-ModulaLaser-System mit Algorithmen zur Staubunterdrückung. Durch automatische Anpassung an die jeweiligen Umgebungsbedingungen werden höchste Empfindlichkeit, optimale Alarmschwellen und niedrige Fehlalarmraten sichergestellt.

Mit der Überwachung der internen Meldermesskammer und des davorliegenden Staubfilters kann die KI die Betriebsparameter automatisch kontinuierlich anpassen, um einer Verunreinigung entgegenzuwirken. (5) Auch das Branderkennungssystem Aviotec von Bosch arbeitet auf der Basis von KI-Algorithmen, die Feuer und Rauch bei wechselnden Wetter- und Lichtverhältnissen erkennen können.  Und das von IQ Wireless GmbH entwickelte Sensorsystem IQ Firewatch ist ebenfalls unter allen Wetterbedingungen einsetzbar und detektiert Rauch bis zu 60 km Entfernung. Es ist daher insbesondere zur frühzeitigen Detektion von Wald- und Industriebränden einsetzbar. (7) Das System deckt durch eine Kombination verschiedener Sensoren einen Spektralbereich von 400 bis 1100 Nanometer ab, sodass seine «Sehkraft» die des menschlichen Auges übertrifft. Auch die Leitstellentechnik wird durch KI weiter optimiert. Insbesondere können Leitstellen mit unterschiedlichen Softwaresystemen automatisiert über digitale Schnittstellen mithilfe intelligenter Algorithmen verknüpft werden. Bei allen sicherheitstechnischen Anlagen wird die Wartungs- und Instandhaltungsorganisation durch KI revolutionisiert. Aufgrund aller verfügbaren Daten aus dem Konstruktionsprozess und dem gesamten Lebenszyklus, aus dem laufenden Betrieb, den Einsatz- und Umgebungsbedingungen wird im KI-basierten «Predictive Maintenance»-Verfahren der jeweils optimale Wartungs- und Instandhaltungszeitpunkt errechnet. Damit können ein Anlagenausfall und eine kostenaufwendige Betriebsunterbrechung vermieden werden. Auch Predictive Analytics ist durch KI möglich geworden, etwa bei der Optimierung des Zufahrts- und Zutrittskontrollmanagements bei Grossveranstaltungen durch Erkennung und wirksame Lenkung von Besucherströmen, vorausschauende Berechnungen des Verkehrsflusses und das Aufspüren einer etwaigen Panikentwicklung. (8)

Perspektiven

Das Leistungsniveau KI wird auch in Zukunft weiter zunehmen, und zwar in immer kürzeren Innovationszyklen. Das gilt insbesondere für selbstlernende Systeme und den Einsatz von Big Data für vorausschauende Erkenntnis- und Präventionsprozesse. Deshalb ist es sinnvoll, sowohl auf Unternehmensebene wie auch von wissenschaftlichen Institutionen und von staatlicher Seite, die weitere Erforschung und Entwicklung von KI zu fördern.  (9) Zugleich wird daran gearbeitet, KI zu standardisieren und Zertifizierungen zu ermöglichen. So befasst sich eine Arbeitsgruppe des deutschen Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und des Fraunhofer Instituts für intelligente Analyse- und Informa­tionssysteme damit, standardisierungsreife Prüfgrundlagen und Kriterienwerke für KI-Systeme zu definieren. (10) Und die TÜV Süd AG bereitet sich darauf vor, KI zu zertifizieren. (11) Bei einer Befragung von mehr als 1000 Personen durch den TÜV-Verband, ob eine KI-Regulierung Sinn ergebe, bejahten dies 90 Prozent der Befragten und forderten gesetzliche Regelungen. Inzwischen gibt es einen Verordnungsentwurf der EU-Kommission, in dem die Nutzung der KI in der Videoüberwachung eingeschränkt wird. (12) Und auch das Europaparlament will KI stärker regulieren und Datenbanken zur Gesichtserkennung oder zum «Predictive Policing» verbieten.

Die Identitätsprüfung bei einer Zutrittskontrolle kann zusätzlich durch den Vergleich biometrischer Merkmale erfolgen. So wird aus der Zugangsberechtigung mit einer klassischen RFID-Karte eine Zwei-Faktor-Authentifizierung.

Der Einsatz leistungsfähiger Wärmebildkameras im Brandschutzsystem erlaubt die Detektion kleinster Glutnester aufgrund ihrer hohen geometrischen Auflösung.

Literatur
1) The MIT Press, Cambridge 2021
2) Edge-Analytics
3) GIT Sicherheit, Newsletter vom 20.10.2021
4) Der Sicherheitsdienst (DSD),
Ausgabe 1-2021, S. 18–20
5) GIT Sicherheit, Ausgabe 8-2021,
S. 66/67
6) GIT Sicherheit, Ausgabe 10-2021, S. 96/97
7) s+s report, Ausgabe 2-2021, S. 50–55
8) So können bei dem «Parsifal» der G2K Group GmbH auf derselben Plattform verschiedene Applikationen im Bereich der Zufahrts- und Zutrittskontrolle kombiniert werden.
9) Das geschieht etwa durch die im Mai 2021 vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) erlassene Förderrichtlinie «KI in der zivilen Sicherheitsforschung II», anknüpfend an die erste Richtlinie vom August 2019. Ziel dieser Richtline ist es unter anderem, dass KI-Methoden im Risikomanagement und in der Auswertung von Massendaten breiter zum Einsatz kommen.
10) GIT Sicherheit, Ausgabe 9-2021, S. 6
11) Netzpolitik.org vom 23.10.2021
12) FAZ vom 22.02.2022
13) Sicherheitsforum, Ausgabe 2-2021, S. 35

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