Arbeitsformen im Wandel

«New Work» ist die Bezeichnung für ein neues Verständnis von Arbeit in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung. Zu den neuen Herausforderungen zählen der demografische Wandel und mehr psychische Erkrankungen.

Bezeichnung
Sektoren wie die Flug­branche müssen als Arbeitgeber attraktiver werden. Bild: depositphotos

Das Konzept von «New Work» geht bis in die 70er-Jahre des letzten Jahrtausends zurück. Es wurde im Wesentlichen von Frithjof Bergmann beschrieben. Gleichzeitig markiert es den Übergang von der Industrie- hin zur ­Wissensgesellschaft. Verschiedene Treiber verändern unsere Arbeit dramatisch: Hierzu zählt vor allem die Globalisierung. Dadurch, dass Zeit und Raum kaum noch eine Hürde darstellen, kann an jedem Ort der Erde produziert werden. Dies führt zu immer mehr multinationalen Konzernen. Gleichzeit nehmen die weltweiten Wanderungsbewegungen zu. Rund ein Drittel aller Migranten weltweit lebt in Europa. Dies wird durch Armut, Kriege und andere Konflikte forciert. Das heisst aus Sicht des Arbeitsschutzes, dass dies nicht die letzte Pandemie gewesen ist und weitere Epidemien folgen werden.  Aufgrund dessen sollten nachhaltige Konzepte entwickelt werden, um auf künftige Pandemien gut vorbereitet zu sein.

Demografischer Wandel und agilere Arbeitsformen

Bergmann sieht das Ende der klassischen Lohnarbeit gekommen und ist der Meinung, dass wir uns nicht weiter der Arbeit unterwerfen dürfen, sondern es in Zukunft umgekehrt sein müsse. Dass Arbeit Spass machen soll, sei eigentlich nur eine Zwischenstufe auf dem Weg zu einer viel sinnhafteren und selbstbestimmten Arbeit, so der Philosoph. New Work organisiert Arbeit radikal anders und führt zu mehr Freiheit der Mitarbeiter. Auch wenn Bergmann wenigen Firmen zugestand, das New-Work-Konzept in seinem Sinne umgesetzt zu haben, gibt es nun doch ­einige, die mit räumlicher und zeitlicher Flexibilisierung der Arbeitsleistung, flacheren Hierarchien und agilen Arbeitsformen viele Elemente seines Konzeptes anwenden.

Der zweite Trend ist der demografische Wandel. Die niedrigen Geburten­raten in Europa führen zu Schieflagen in den Sozialsystemen und auch zunehmend am Arbeitsmarkt. Die Folge wird eine weitere, aus gesundheitlicher Perspektive möglichst flexible Anhebung des Lebensarbeitszeitalters sein. Denn aus Sicht des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sind manche Berufe nicht mit einer höheren Lebensarbeitszeit vereinbar. Eine über 70-jährige Intensivkrankenschwester, ein Dachdecker oder Müllarbeiter sind kaum vorstellbar, wohingegen Professoren in der Regel durchaus noch weit über die 70 Jahre lehren könnten.

Berufsbilder im Wandel

Der bedeutendste Trend ist der zur Digitalisierung und Virtualisierung. Aus dem technischen Fortschritt folgen immer schnellere und kürzere Innovationszyklen. Lebenslanges Lernen ist das Gebot der Stunde. Nur mit einer Erstausbildung wird man nicht mehr durchs Berufsleben kommen. Deshalb werden sich auch Berufsbilder verändern. Monotone Tätigkeiten werden wegfallen, aber es werden neue Jobs an der Schnittstelle Mensch und Maschine entstehen.

Die Pandemie hat die Digitalisierung der Arbeitswelt dramatisch beschleunigt. Neue Arbeitsformen wie das Home- oder Mobile Office werden sich zunehmend durchsetzen und die Videokonferenzen ersetzen nach und nach die realen Meetings. Vor Corona hatten wir in Mittel­europa einen Präsenzfetischismus, wir sind Montag bis Freitag ins Büro gefahren, haben uns stundenlang in den Metropolen durch den Berufsverkehr hin- und ­zurückgekämpft. Post Covid wird aber nichts mehr sein wie vorher. Aus Sicht der Arbeitsmedizin entstehen somit neue Belastungen, Phänomene wie das «Zoom-Fatique-Syndrom», die einsei­tige Belastung durch viele oder lange ­Videokonferenzen, treten nun bei den Mitarbeitern auf.

Neue Arbeitsmodelle

Für den Arbeitsschutz gibt es letztlich zwei neue Settings. Die arbeitenden Menschen sind in Zukunft mehr im Internet und im Homeoffice. Es kommt zu einer Entgrenzung der Arbeit. Durch die ständige Erreichbarkeit entfallen Ruhezeiten fast komplett. Mitarbeiter arbeiten im Homeoffice tendenziell mehr als im Büro. Insbesondere die Leistungsträger haben aber oft die Befürchtung, dass ihr Engagement nicht (an-)erkannt wird, da man sich kaum noch persönlich sieht.

Starre Regelungen sind nicht im Sinne Bergmanns, vielmehr geht es um Flexibilität, um jedem Einzelnen zu genügen. Das heisst, es ist nicht in seinem Sinne, abends die E-Mail-Server abzustellen, damit Mitarbeiter nicht zu viel arbeiten. Dies wird gerade von Angestellten mit Kindern gerne genutzt. Denn wenn die Kinder im Bett sind, können Eltern ungestört arbeiten. Auch die antiquierte Starrheit des (deutschen) Arbeitszeitgesetzes passt nicht zu New Work. Personalpolitik muss lebensphasenorientiert sein, damit die Unternehmen im «War for Talents» eine Chance haben, dem Fachkräftemangel entgegenzutreten.

Neue Schwerpunkte beim Gesundheitsschutz

Die klassischen Handlungsfelder der Gesundheitsförderung, Bewegung, Ernährung, Stress und Sucht sind besonders auch im Homeoffice relevant. Wir bewegen uns im Homeoffice deutlich weniger. Dies belegen Studien z.B. von Fitbit. Auch im Bereich Ernährung ist bspw. der Verkauf von Fertigpizzen seit der Pandemie erheblich gestiegen. Zu einem der bedeutendsten Handlungsfelder scheint aber die mentale Gesundheit zu zählen. Die Verdichtung und Entgrenzung der Arbeit unter den Rahmenbedingungen der disruptiven VUCA-Welt belastet inzwischen de facto fast jeden zweiten Mitarbeiter. Bei der Suchtthematik verlagern sich zwischenzeitlich die Schwerpunkte deutlich. Viele Jahrzehnte waren die Tabak- und die Alkoholprävention Schwerpunkte, nun sind es Themen wie Financial Wellbeeing oder Modedrogen, die beunruhigen.

Für das Setting Internet gilt, dass die Arbeit zunehmend flexibler wird. Technische Herausforderungen, von der Leitungsgeschwindigkeit bis hin zur Datensicherheit, mindern die gewonnene Freiheit jedoch wieder. Bedenklich ist, dass es in Deutschland inzwischen fast fünf Millionen internet- und spielsüchtige Menschen gibt. Auch die Abhängigkeit von sozialen Netzwerken ist bei vielen enorm.

Psychische Erkrankungen auf dem Vormarsch

Zeitgemässe Benefit-Pakete gehören zu New Work. Hier werden zunehmend Aspekte der Nachhaltigkeitsstrategie eines Unternehmens involviert. Waren früher Dienstwagen und technische Liebhabereien Präferenz von Mitarbeitern, so sind es heute Kita, Jobrad und Fitnessstudio.

Das Konzept der Work-Life-Balance ist überholt und geht über in Work-Life-Blending. Dieses ermöglicht individuelle Volumen und Rhythmen der Arbeit, sodass es bei niemanden in Stress ausufert. Manche Menschen muss man vor sich selbst schützen und sie in ihrem Arbeitseifer bremsen.

Die psychischen Erkrankungen sind im Zeitalter von New Work weiter auf dem Vormarsch. Sie entstehen aber oftmals durch komplexe Wechselwirkungen zwischen Umwelt, Berufs- und Privat­leben. Deshalb bedarf es in Zukunft auch vermehrter digitaler Gesundheitsinterventionen, um Menschen in allen Settings niedrigschwellig zu bedienen.

Führungskräfte müssen sich kontinuierlich weiterentwickeln

Zentrale Stellschraube für gesunde Arbeit der Zukunft sind die (unteren) Führungskräfte. Sie müssen hybride Teams führen sowie die Kreativität, Teamgeist und Produktivität erhalten. Darüber hinaus sind sie persönlich für Absentismus und Präsentismus der Mitarbeiter verantwortlich. Schauten die Unternehmen bisher auf die Krankheitsquote der Belegschaft, wird man in Zukunft seinen Fokus auf die 95 Prozent Anwesenden lenken müssen. Wenn man ihre Leistungsfähigkeit nachhaltig erhält, können grosse Effekte erzielt werden. Die Führungskräfte müssen mit einer Art Homeoffice-Führerschein auf die Herausforderungen der Wissensgesellschaft vorbereitet werden und sich kontinuierlich weiterentwickeln.

Wertschätzung, insbesondere hierarchieübergreifend, wird zum zentralen Führungsinstrument. Da die meisten Führungskräfte in der Schweiz nach fachlichen Kriterien und nicht nach ihren Soft Skills ausgewählt wurden, haben sie einen dringenden Qualifizierungsbedarf. «Ohne Wertschätzung keine Wertschöpfung» gilt branchenübergreifend. Das heisst, der Führungsstil korreliert mit  Performance, Krankenstand und Produktivität der Mitarbeiter.

Arbeitnehmende in der Pflicht

Zur vollständigen Verwirklichung von New Work ist Partizipation der Mitarbeiter eine wichtige Grundlage. Die Arbeitenden sollen sich artikulieren, wie sie ihre Tätigkeit ausgestaltet haben wollen. Und auch über die Belastungen der Arbeit wissen sie selbst am besten Bescheid. Als Ausblick kann man sagen, dass sich die Wissensgesellschaft durch Covid-19 deutlich schneller etablieren wird. Viele Branchen werden vor der Herausforderung stehen, qualifiziertes Personal zu ­rekrutieren. Gerade bei belastenden, prekären Jobs wie am Flughafen, in der Hotellerie und Gastronomie oder Pflege wird es zu massiven personellen Engpässen kommen. Trotzdem werden besonders die Pflegeberufe vom demografischen Wandel doppelt betroffen sein: Es gibt immer mehr ältere, multimorbide Patienten und wegen der niedrigen Geburten­rate immer weniger Nachwuchsarbeitskräfte. Auch wenn Bergmann sagte, dass es kein Unglück sei, wenn viele dieser prekären Berufe verschwinden würden, sind sie doch für unsere zivilisierte Gesellschaft noch unentbehrlich. Nicht alles lässt sich digitalisieren und es werden auch in Zukunft belastende Tätigkeiten erbracht werden müssen.

Bergmann umschreibt den notwendigen Prozess so: «Das Ziel neuer Arbeit besteht nicht darin, die Menschen von der Arbeit zu befreien, sondern die Arbeit so zu transformieren, damit sie freie, selbstbestimmte, menschliche Wesen hervorbringt.»

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