Psychosoziale Risiken messen und verändern

Immer mehr Unternehmen erkennen die Bedeutung psychischer Gesundheit am Arbeitsplatz. Doch wie können psychosoziale Belastungen gemessen und erfolgreich verändert werden? Der Beitrag zeigt einen Überblick über die wichtigsten Aspekte, um gezielt beraten zu können.

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Sei es aufgrund von gesetzlichen Rahmenbedingungen oder auch aufgrund des Fachkräftemangels, welcher eine aktive Bindung von Beschäftigten notwendig macht: Es gibt viele Gründe, sich um die Psyche der Beschäftigten zu kümmern. Nachfolgend lesen Sie konkrete Praxistipps, um loszulegen.

Was sind psychische Belastungen am Arbeitsplatz?

Psychische Einflüsse, die von aussen auf Menschen einwirken, nennt man «psychische Belastungen». Der Begriff ist grundlegen weder positiv noch negativ. Hier ein paar Beispiele:

  • Unterstützung durch die unmittelbare Führungskraft
  • Informationsfluss in der Abteilung
  • Handlungsspielraum beim Arbeiten
  • Ist die Software, mit denen Sie arbeiten, einfach zu bedienen?
  • Sind Ihre Ansprechpersonen höflich?

All diese Faktoren wirken auf die Psyche ein. Das ist ein ganz normaler Vorgang. Jede Person ist tagtäglich psychischen Belastungen ausgesetzt. Die Auswirkungen von psychischen Belastungen können positiv oder negativ sein, je nachdem, ob die Arbeitsbedingung stressig oder motivierend ist. Sie werden «psychische Beanspruchung» genannt.

Natürlich ist es nicht immer klar, ob der Kopfschmerz, die Müdigkeit oder die Schlafstörungen jetzt ausschliesslich von der Arbeit kommen oder ob sie auch mit privaten Problemen zusammenhängen.

Aber wenn Sie gezielt nach psychischen Arbeitsbedingungen fragen, geht es nicht um diese Auswirkungen, sondern um die Fakten rund um den Arbeitsplatz.

Es ist ähnlich wie bei Schwerhörigkeit: Diese kann von der Arbeit an lauten Baumaschinen stammen oder von lauten Rockkonzerten. Wenn aber die Dezibelmessung am Arbeitsplatz einen Schwellwert überschreitet, dann werden am Arbeitsplatz gezielt Massnahmen getroffen. Egal, ob Schwerhörigkeit vorhanden ist oder nicht.

Jede Person hat psychosoziale Risiken am Arbeitsplatz. Die psychischen Belastungen in einem Job sind personenunabhängig.

Wie kann man Psychosoziales zum Thema machen?

Nicht jede Person spricht offen über Emotionen. Wie kann man psychische Arbeitsbedingungen in einer Organisation zum Thema machen? Hier sind drei Ansätze:

  1. Statistiken und wissenschaftliche Zusammenhänge kommunizieren: Über Fakten zu sprechen kann oft leichter sein als über persönliche Betroffenheit. Lassen Sie sie bei passenden Gelegenheiten einfliessen. Beispiel: «Wussten Sie, dass fehlende Anerkennung für die eigene Arbeit die Wahrscheinlichkeit für Herzerkrankungen steigert?»
  2. In persönlichen Gesprächen: Machen Sie stressige Arbeitsbedingungen, motivierende Rahmenbedingungen, aber auch persönliche Gefühle zu einem normalen Gesprächsthema. Jedes Gespräch über psychische Arbeitsbedingungen macht das Thema normaler.
  3. Organisationsweite Projekte: Vor allem in grösseren Betrieben bietet es sich an, formale Projekte aufzusetzen wie Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen, Krankenstandsrückkehrgespräche oder betriebliche Wiedereingliederung.

Wie kann man Belastungen in der Gefährdungsbeurteilung messen?

Dabei werden arbeitspsychologische Messverfahren eingesetzt, um ein umfassendes Bild über die Arbeitsbedingungen in einem Bereich zu bekommen.Es gibt hier folgende Varianten:

  • Schriftliche Fragebögen (online oder in Papierform)
  • Einzel- oder Beobachtungsinterviews mit Checklisten
  • Gruppendiskussionen

Jedes Instrument hat dabei seine spezifischen Vorteile. Häufig werden auch mehrere Messverfahren innerhalb eines Unternehmens kombiniert.

Jeder Arbeitsplatz wird separat evaluiert. Es resultiert dann nicht eine Gesamtauswertung, sondern eine Auswertung für die Buchhaltungsabteilung, eine Auswertung für den Aussendienst, eine Auswertung für die Logistik und so weiter.

Psychosoziale Belastungen: Welche präventiven Massnahmen helfen?

Das kann man nicht so allgemein beantworten, weil die Massnahmen zum Stressfaktor passen müssen. Gute Massnahmen setzen an der Quelle des Pro­blems an und wirken kollektiv, also für so viele Beschäftigte wie möglich.

Eine bekannte Grundregel beim Planen von Massnahmen ist das «STOP-Prinzip». Es besagt, dass man in dieser Reihenfolge über Lösungen nachdenken sollte:

  • Substitution (kann man die Quelle des Stresses beseitigen?)
  • Technische Massnahmen (z.B. bessere Software oder andere Zimmereinrichtung)
  • Organisatorische Massnahmen (z.B. andere Arbeitseinteilung)
  • Personenbezogene Massnahmen (z.B. Training oder Coaching)

Legen wir das nun um auf psychische Belastungen: In der öffentlichen Verwaltung gibt es mehrere Kundencenter mit Schalterarbeitsplätzen. Hier können Formulare abgegeben, Fragen geklärt und Beschwerden gegen Bescheide vorgebracht werden. Die Bürgerinnen und Bürger sind hier oft nicht gut gelaunt und manchmal sogar aggressiv gegenüber den Beschäftigten. Die Mitarbeitenden werden als der «personifizierte Staat» wahrgenommen und müssen sich oft Beschimpfungen für Entscheidungen anhören, die sie nicht selbst getroffen haben.

Was kann man jetzt verändern?

  1. Substitution: Die Bürgerinnen und Bürger selbst als Verursachende des aggressiven Verhaltens sind schwer zu verändern. Aber es kann überprüft werden, ob es sachliche Einwände gegen Vorschriften oder häufige Missverständnisse aufgrund unklarer Formulierungen gibt. Dann könnten diese verändert werden, um solche Reaktionen zu vermeiden.
  2. Technische Massnahmen: Distanz oder physische Barrieren können Beschäftigte schützen. Wenn körperliche Attacken drohen oder sogar bereits erfolgt sind, können technische Massnahmen helfen: zum Beispiel eine Glasscheibe oder ein Notfallknopf unter dem Schreibtisch. Auch freie Fluchtwege (wegen eventueller Übergriffe) sollten gewährleistet sein.
  3. Organisatorische Massnahmen: Diese sind in vielen Fällen kostenneutral und durch die direkte Führungskraft umsetzbar. Damit sind sie für uns besonders interessant. Alleinarbeit sollte bei potenziell aggressiven Personen vermieden werden. Mitarbeitende sollten Unterstützung in Sicht- oder Rufweite haben. Eine klar definierte Vorgehensweise und ein verbindlicher Ablauf wirken beruhigend auf die Beschäftigten. Es sollte keinen Zweifel geben, was bei Beschimpfungen oder körperlichen Attacken zu tun ist. Auch den Kundinnen und Kunden muss klar sein, welche Konsequenzen ihr aggressives Verhalten haben wird – etwa durch eine Informationskampagne.
  4. Personenbezogene Massnahmen: Kommunikations- oder Selbstverteidigungstraining kann natürlich ergänzend angeboten werden, darf aber auf keinen Fall die vorhergehenden Massnahmen ersetzen!

Wichtig: Die besten Massnahmen entstehen, wenn alle mitdenken! Binden Sie daher die Beschäftigten als Expertinnen und Experten für den eigenen Arbeitsplatz in die Lösungsfindung mit ein.¹

Wo liegen die Grenzen von ­Massnahmen?

  1. Massnahmenvorschläge werden nicht immer (sofort) umgesetzt. Und dafür gibt es mehrere Gründe:
  2. Es wurden keine Details überlegt und der Vorschlag ist so oberflächlich, dass sich niemand angesprochen fühlt, etwas zu verändern («Wir sollen unsere Projekte besser planen.»).
  3. Die Massnahmen sind der Geschäftsführung zu teuer, der Führungskraft zu aufwendig oder stossen auf einen anderen Widerstand. Und es gibt keinen Plan B. Es wurde also keine Alternative überlegt.
  4. Die Führungskraft sieht keinen Handlungsbedarf und nur das Team will etwas verändern. Hier ist unsere Beratungskompetenz gefordert.
  5. Oder die Führungskraft möchte Massnahmen umsetzen, ist aber nicht zuständig und stösst bei der Geschäftsführung auf taube Ohren (z.B. Änderung der Home-Office-Regelung).

Nach der Gefährdungsbeurteilung liegen viele Baustellen auf dem Tisch und die Zuständigen sind überfordert mit der Fülle von Massnahmen. So kommen sie in eine Art Schockstarre und machen erst mal gar nichts. Auch hier ist Beratungskompetenz von Beginn an gefordert, klare Prioritäten zu setzen und der Organisation einen Handlungsplan zu übergeben.

Fazit

Psychosoziale Belastungen sind ein normaler Aspekt des Arbeitslebens. Es lohnt sich für Firmen, sich aktiv darum zu kümmern und damit für mehr Motivation und gleichzeitig mehr Effizienz zu sorgen.

¹ Buchtipp: «Aktiv führen – So schaffen Sie motivierende Arbeitsbedingungen», von Veronika Jakl

Zur Autorin: Veronika Jakl, Mag., Arbeitspsychologin und Expertin für psychische Belastungen, Akademie-­Leiterin Pioniere der Prävention.

 

psychosoziale Risiken
Workshop zur Konkretisierung von Befragungsergebnissen. © Pioniere der Prävention
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