Bodycams: deeskalierende Wirkung

Jährlich lassen sich fünfzig Übergriffe auf Polizistinnen und Polizisten vermeiden, wenn diese am Körper eine Kamera tragen. Diesen Schluss legen die Wissenschaftler nahe, die den Versuch der Stadtpolizei mit Bodycams ausgewertet haben. Eine weitere Studie untersuchte zudem Gewalt gegen die Polizei.

© SBB

Vermehrt sind die Ordnungshüter verbalen und physischen Übergriffen ausgesetzt. Neben Gewalt, die von einzelnen Personen ausgeübt wird, gibt es in jüngerer Zeit immer wieder Situationen, in denen die Polizei aus Gruppen heraus angegriffen wird. Im Rahmen des Projekts «Polizeiarbeit in urbanen Spannungsfeldern (PiuS)» wurde das Kriminologische Institut der Universität Zürich beauftragt, mit einer Befragung von mutmasslichen Tätern und Opfern diese Angriffe auszuwerten und Massnahmen vorzuschlagen.

Weil Angriffe von Einzelpersonen wissenschaftlich bereits gut untersucht sind, ist das Kriminologische Institut beauftragt worden, sich in seiner Untersuchung auf die Übergriffe gegen Polizistinnen und Polizisten aus Gruppen heraus zu beschränken. Die Untersuchung zeigt: Es gibt jedes Jahr nur wenige solche Gruppenangriffe, aber sie haben jedes Mal ein grosses psychisches und physisches Verletzungspotenzial. Die Hälfte der Beschuldigten wohnt in der Stadt Zürich, die meisten gewalttätigen Personen sind Schweizer und Männer, darunter viele junge. Mehr als ein Drittel der mutmasslichen Täter sind unter 20 Jahre alt. Und die Gewalt unterscheidet sich: Während die unter 20-Jährigen vorwiegend Steine und Flaschen werfen, handelt es sich bei den Übergriffen der 20- bis 25-Jährigen vor allem um Beschimpfungen.

Bessere Beweismittel vorhanden

Eine gute Ausrüstung ist Voraussetzung für den Schutz der Polizei. Zudem soll geprüft werden, ob bei der Staatsanwaltschaft die Fälle von Gewalt und Drohung gegen Beamte aus Gruppen heraus an einer Stelle koordiniert und behandelt werden können. Dieser Wunsch ist bei der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich deponiert worden. Und der Strafrahmen soll von der Justiz stärker ausgenützt werden. Fatal ist es nämlich, wenn Täter davon ausgehen, ihre Taten hätten keine Folgen – dieser Glaube fördert erwiesenermassen die Gewalt. Ausserdem sollen bei Angriffen mit hohem Gewaltpotenzial künftig bessere Beweismittel zur Verfügung stehen, weshalb temporäre Installationen von Videokameras an bestimmten Brennpunkten möglich sein sollen.

Das Kriminologische Institut hat festgestellt, dass eine professionelle, freundliche Kommunikation beziehungsweise ein entsprechendes Auftreten der Polizei von grosser Bedeutung ist für die Deeskalation oder die Vermeidung von Gewalt. Konkret empfehlen die Autoren der Studie, bei Grossveranstaltungen wie Demos oder Fussballspielen spezielle Dialogteams einzusetzen. In Berlin und auch in Bern sind solche Dialogteams erfolgreich im Einsatz. Sie suchen aktiv das Gespräch mit der Bevölkerung. Die Stadtpolizei führt im Jahr 2018 einen Pilotversuch mit Dialogteams durch. Ausserdem empfiehlt das Kriminologische Institut, den Einsatz von Bodycams zu prüfen. Im vergangenen Jahr ist dies – unabhängig von der Gewaltstudie – bereits in einem Versuch geschehen.

17 000 Polizeieinsätze ausgewertet

Im Rahmen des Projekts PiuS ist bei der Stadtpolizei Zürich (und der Transportpolizei der SBB in Zürich und Lausanne) ein wissenschaftlich begleiteter Versuch mit Körperkameras (Bodycams) durchgeführt worden. In der Schweiz wird der Einsatz von Bodycams seit einiger Zeit diskutiert, bislang gab es aber keine Pilot­projekte und damit auch keine Antwort auf die Frage, ob Bodycams eine Wirkung haben.

Der Sicherheitsvorsteher und der Kommandant der Stadtpolizei haben das Institut für Delinquenz und Kriminalprävention der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) beauftragt, die Frage zu klären, inwiefern Bodycams ein wirksames und sinnvolles polizeiliches Einsatzmittel darstellen.

36 Wochen dauerte der Zürcher Versuch, wobei die Polizistinnen und Polizisten nur jede zweite Woche die Kameras trugen. Dies ermöglichte einen direkten Vergleich von Einsätzen mit Kamera und solchen ohne. Nach jeder Schicht mussten sie einen Fragebogen ausfüllen. In der Versuchsphase wurden 17 198 Einsätze geleistet und 7822 Fragebögen ausgefüllt. Die Autoren der Studie kommen zu folgenden Schlüssen: Der Grossteil aller Einsätze verläuft friedlich. In jedem 200. Einsatz (0,5 %) kam es zu physischen Übergriffen gegen Polizeiangehörige wie Schubsen, Stossen oder Schlagen, Treten oder gar Schlagen mit einem Gegenstand. Die Polizei berichteten in rund 4 Prozent der Einsätze von verbalen Übergriffen wie Beschimpfungen.

Jährlich 50 Übergriffe weniger

Im Vergleich der Einsätze mit Bodycams und jener ohne Bodycams legen die Autoren eine günstige Wirkung der Körperkamera nahe, ohne allerdings den positiven Effekt statistisch als signifikant abgesichert zu bezeichnen. In der Hochrechnung der untersuchten Fälle ist die Relevanz aber gegeben: Würden in den vier Einheiten, die sich am Versuch beteiligten, alle Polizistinnen und Polizisten Bodycams tragen, würde es jährlich zu rund 50 Fällen weniger mit physischen Übergriffen auf die Polizei kommen. Ausserdem fördert die Bodycam die Objektivierbarkeit bei umstrittenen Einsätzen. Zudem liefert sie zusätzliches Beweismaterial bei Beschwerden und Strafverfahren. Die Untersuchung zeigt deutlich, dass die Boycam sicher keine eskalierende Wirkung hat: In vielen Fällen hat sich eine Situation bereits in dem Moment beruhigt, als die Polizeipatrouille das Gegenüber darauf hinwies, sie werde die Kamera jetzt einschalten. Mehr als die Hälfte der Polizistinnen und Polizisten, die am Versuch teilgenommen haben, befürworten die Einführung von Bodycams.

 Antrag auf definitive Einführung

Der Vorsteher des Sicherheitsdepartements, Richard Wolff, wird im Einvernehmen mit dem Polizeikommandanten beim Stadtrat einen Antrag zur definitiven Einführung von Bodycams stellen. Heisst die Exekutive den Antrag gut, wird er dem Zürcher Gemeinderat vorlegt, der für die nötige Rechtsgrundlage zuständig ist. Der Einsatz von Bodycams soll gemäss Wolff wie beim Versuch geregelt sein: Die Bodycam zeichnet nur dann auf, wenn eine Situation bereits ein gewisses Eskalationsniveau aufweist oder wenn das Gegenüber dies von der Polizei verlangt. Die Kosten für das Projekt werden auf 100 000 bis 200 000 Franken geschätzt.

Pressetext Kommunikations Sicherheitsdepartement Stadt Zürich

 

Die Schlussberichte zu den Teilprojekten «Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten» und «Bodycams» sowie die wissenschaftlichen Berichte der Universität Zürich und der ZHAW stehen im Internet bereit. https://bit.ly/2GV5w1e

 

 

 

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