Corona-Krise: Rechte & Pflichten als Arbeitnehmer im Büro und im Home-Office

Aufgrund der vom Bund verhängten und sich häufig (zu) schnell ändernden Massnahmen, wie Beschäftigungsverbote oder Ausgangsbeschränkungen wird es immer schwieriger, den Überblick über Rechte und Pflichten in der Arbeitswelt zu wahren. Die Redaktion des SAFETY-PLUS sprach daher mit Luca Cirigliano, Zentralsekretär des Schweizer Gewerkschaftsbunds SGB über Arbeitssicherheit, Rechte & Pflichten als Arbeitnehmer im Büro und im Home-Office in Zeiten von Corona.

Die Redaktion des SAFETY-PLUS sprach mit Luca Cirigliano vom SGB über Arbeitssicherheit, Rechte & Pflichten als Arbeitnehmer im Büro und im Home-Office in Zeiten Corona. © Markus Frutig, SAFETY-PLUS

Herr Cirigliano, viele Arbeitnehmende, aber auch Arbeitgeber sind verunsichert, wie man mit der aktuellen Lage umgeht. Wie sieht es rechtlich aus und welche Weisungen darf der Arbeitgeber aussprechen?

Der Bundesrat hat mit seiner spezifischen Verordnung gewisse Betriebe geschlossen, für besonders gefährdete Arbeitnehmenden obligatorisch Home-Office oder Beschäftigungsverbot bei 100 % Lohnfortzahlung angeordnet. Leider wurde nun plötzlich dieser Schutz für Risiko-Patienten plötzlich wieder geändert: hier muss der Bundesrat dringend wieder über die Bücher. Für die restlichen Betriebe wurden allgemeine Empfehlungen betreffend Hygiene, Abstände in Sitzungsräume sowie wiederum zu möglichst umfassender Home-Office Tätigkeit erlassen. Diese Weisungen bzw. Anordnungen sind vom Arbeitgeber vollumfänglich aufzunehmen, die Arbeitnehmenden sind zu informieren und der Arbeitgeber ist verpflichtet, entsprechende Weisungen und organisatorische Schritte und Massnahmen unverzüglich umzusetzen. Dafür gibt es das Instrument des Handbuchs für die betriebliche Vorbereitung im Pandemie-Fall, welches vom SECO zur Verfügung gestellt wird.

Ich möchte darauf hinweisen, dass dem Arbeitgeber unter der jetzigen Lage nach Epidemie-Gesetz eine erhöhte Sorgfaltspflicht trifft in allem, was Gesundheitsschutz und Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmenden anbelangt. Die Massnahmen des Bundes sind zwingend und sofort einzelfallgerecht am Arbeitsplatz umzusetzen.

Es ist zu hoffen, dass Arbeitgeber sich hier richtig bei den zuständigen Stellen informieren und Kurzarbeitsentschädigung beantragen, bevor sie Arbeitnehmende unnötig entlassen!

Die Art. 328 OR und Art. 6 ArG. verpflichten die Arbeitgeber, die Gesundheit der Arbeitnehmenden bestmöglich zu schützen. Was bedeutet dies jetzt in der Praxis beispielsweise im Einzelhandel?

Jede Branche und Betrieb, die vom Bundesrat nicht geschlossen wurden, können nach heutigem Stand des Wissens operieren, wenn die entsprechenden spezifischen Massnahmen wirklich im Betrieb ergriffen werden. Jede Branche und Betrieb kann und muss eine Risiko-Analyse machen und entsprechend anhand der Hygiene- und Social-Distancings-Vorgaben des Bundes dann Massnahmen definieren. Hier können die Branchen- und Betriebsgruppenlösungen und die Sicherheitsbeauftrage im Betrieb eine grosse Hilfe sein. Auch der Bund hat zu Ladenflächen spezifische Vorgaben gemacht. Wichtig ist, dass sich nicht zu viele Kunden im Laden befinden. Hier machen Zugangs-Beschränkungen und Zählsysteme Sinn. Auch der direkte allzu nahe Kundenkontakt ist zu vermeiden, z.B. durch Montage von Plexiglas an den Kassen.

Bei der Bezahlung sollte auf Bargeld verzichtet werden und möglichst kontaktlos bezahlt werden. Nicht zu unterschätzen ist für das Verkaufspersonal im Moment auch der psychosoziale Stress: verärgerte Kunden entladen leider ihren Frust auf die Mitarbeiter. Hier ist entsprechend geschultes Personal in der Sicherheit nötig sowie darauf zu achten, dass nicht zu viele Kunden gleichzeitig im Laden sind, was wiederum stresst. Vom Bund wären nun branchenspezifische Merkblätter und Checklisten für die Branchen zu verlangen, auch für den Detailhandel.

Welche Rechte haben Mitarbeitende von Betrieben mit Publikumsverkehr (Lebensmittelhandel) oder auch PSA-Herstellern, wenn der Gesundheitsschutz der Mitarbeitenden nicht gewährt wird bzw. gewährleistet werden kann?

Es gilt, alle Vorgaben des BAG sowie des SECO zu respektieren. Im Zweifelsfalle sind die kantonalen Arbeitsinspektorate oder die SUVA zu kontaktieren. Aber die Unsicherheiten am Arbeitsplatz sind gross: Das SECO sollte nun endlich branchenspezifische Merkblätter und Checklisten machen.

Ergänzung am 08.04.2020: Das Seco hat inzwischen branchenspezifische Merkblätter und Checklisten erstellt.

Im schlimmsten Fall kann eine Behörde den Betrieb auch ganz schliessen. Wie sieht die Praxis aktuell aus?

Das ist als Ultima Ratio möglich, ja. Bzw. der Bundesrat hat gewisse Betriebe per Verordnung geschlossen, gestützt auf das Epidemie Gesetz. Grundsätzlich sollte es aber den nicht per Verordnung geschlossenen Branchen möglich sein, die Sicherheitsmassnahmen des Bundes umzusetzen und sicher zu arbeiten. Das erfordert aber vom Arbeitgeber natürlich Vorkehrungen und je nachdem auch einschneidende Massnahmen, wenn der Arbeitgeber diese Massnahmen nicht umsetzt. Die Umsetzung der Gesundheitsschutz-Massnahmen sowie allfällige Schliessungen bei Verstössen sind angesichts der Gefährdung der Rechtsgüter wie Leib und Leben sowie die öffentliche Gesundheit völlig gerechtfertigt.

Auch das Arbeitsvertragsrecht macht Probleme: Beispiel: man hat schon länger (Oster-)Ferien gebucht, die nicht angetreten werden können bzw. man ja nicht (aus)reisen kann. Haben Arbeitnehmende Anspruch auf Verschiebung oder müssen sie die Ferien zuhause «absitzen»?

Das OR gibt die Möglichkeit, die Ferien nicht zu beziehen, wenn kein «erholungswert» mehr gegeben ist. Ob dies aber wirklich nicht der Fall ist, müsste fallweise geprüft werden. In Zeiten der Pandemie ist aber eine gewisse Kulanz zu empfehlen, sowohl von Arbeitgeber wie auch von Arbeitnehmer.

Muss man im Home-Office arbeiten, wenn es (sichere) Alternativen im Betrieb gäbe und auf was müssen die Arbeitnehmenden betreffend rechtlicher Aspekte besonders achten?

Grundsätzlich schreibt der Bundesrat Home-Office vor, wenn es möglich ist. Dies auch, um insbesondere das Pendeln zu vermeiden und den öffentlichen Verkehr (Züge, Busse, Trams) zu leeren, wo Ansteckungsgefahr besteht. Wenn ein sicheres Arbeiten im Büro gewährleistet ist – also Einzelbüros, Einhalten der Hygiene-Massnahmen inkl. z.B. regelmässige Desinfektion von Türgriffen gemeinsam gebrauchte Analgen oder Möbel sowie Social Distancing mit Kolleginnen und Kollegen – und zu Fuss oder mit dem Velo zur Arbeit gegangen werden kann, muss aber nicht zwingend Home-Office gemacht werden, wenn es der Arbeitnehmer nicht wünscht.

Ich persönlich empfehle jedoch Home-Office in jedem Fall, ausser es sprechen zwingende betriebliche bzw. organisatorische Gründe dagegen. Für besonders gefährdete Menschen ist Home-Office grundsätzlich obligatorisch, wenn dies nicht möglich ist, hat der Bundesrat ein Beschäftigungsverbot bei vollem Lohn verordnet.

Beispiel Gastrobereich, wo auch alle Betriebe vorerst (Stand 30.3.20) bis 19. April geschlossen bleiben müssen: Kann der Arbeitgeber einfach jetzt Mitarbeitende kündigen und welche Rechte hat man dagegen?

Kündigungen sind angesichts der grosszügigen Kurzarbeitsentschädigungs-Praxis in der Schweiz sowie der neuen Regeln zur Übernahme der Lohnfortzahlung durch den Bund häufig nicht nötig und unbedingt zu vermeiden. Es ist zu hoffen, dass Arbeitgeber sich hier richtig bei den zuständigen Stellen informieren und Kurzarbeitsentschädigung beantragen, bevor sie Arbeitnehmende unnötig entlassen! Auch führt der Bundesrat verschiedene andere Formen der Unterstützung gerade für hart getroffene KMUs durch, z.B. Bürgschaften. Ansonsten gelten die üblichen Fristen und Sperrgründe für eine Entlassung sowie die Regeln für die Massenentlassung sowie allfällig für Sozialpläne, wenn die Voraussetzungen gegeben sind.

Was raten Sie Beschäftigten in der «Gig-Economy» – also Fahrern für UBER oder Amazon, deren Einkünfte ebenso wegfallen oder die bei Fahrten mit Kunden in eine Risikosituation kommen können?

Die Plattform-Arbeitnehmer der Taxidienste UBER sind ja laut SUVA sowie erstinstanzlich dem Arbeitsgericht Lausanne ganz normale Arbeitnehmende. Sie sollen sich nun beim SVA melden und nötigenfalls gegen UBER rechtliche Schritte einleiten. UBER schuldet den ganzen sozialversicherungsrechtlichen Schutz, wie alle anderen Arbeitgeber auch. UBER ist als Arbeitgeber auch verantwortlich, dass es sich an die Vorgaben des Bundes hält und seine Arbeitnehmenden schützt. Hier ist Handeln durch den Bund, die Arbeitsinspektorate sowie der Polizei, welche gewerbliche Kontrollen in der Taxibranche macht, angezeigt. Zum Schutze der Chauffeusen und Chauffeuren, aber auch des Publikums.

Es rächt sich, dass der Bund und die Sozialversicherungen so lange gegen UBER untätig geblieben sind und deshalb keine rechtskräftigen Urteile bestehen. Dies erhöht nun die Rechtsunsicherheit, die Kosten für die Allgemeinheit und könnte fatale gesundheitliche Folgen für alle Beteiligten haben.

Besten Dank für das Gespräch!

Schweizer Gewerkschaftsbund SGB

Schutz der besonders gefährdeten Arbeitnehmenden muss gewährleistet werden!

Weitere Linktipps der Redaktion:

Seco Merkblätter und Checklisten (Stand 08.04.2020):

AHV/IV (Stand 24.03.2020): Information für Arbeitgebende und Selbständigerwerbende im Zusammenhang mit dem Coronavirus

SECO-Infos zur Kurzarbeit

SVA Zürich Infos zur Kurzarbeits-Anmeldung: Das Wichtigste für Arbeitgeber

Infos vom Bund: Überbrückungskredite für Unternehmen

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