Der Ergonom der Zukunft

Die Internationale Vereinigung für Ergonomie (IEA), ein Konglomerat aus 52 Ergonomieorganisationen aus der ganzen Welt, informiert alle drei Jahre über die Rolle neuer Technologien am Arbeitsplatz. IEA-Vizepräsidentin Maggie Graf fasste an einem Referat der Erfa-Tagung von Swissergo die wichtigsten Erkenntnisse der letzten Revision der Richtlinien zusammen.

Ergonomie
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Das Arbeitsgesetz in der Schweiz stammt aus dem Jahr 1974 und war für die damalige Zeit sehr fortschrittlich, denn die Gesetzgebung regulierte schon damals die Ergonomie am Arbeitsplatz. Geht es nach der IEA-Vizepräsidentin Maggie Graf, der ehemaligen Ressortleiterin für Arbeit und Gesundheit beim Seco, hat die Schweiz aber Aufholbedarf.

So beschränken viele Leute die Interpretation des Gesetzes auf Fehlbelastungen der Skelettmuskulatur. Ein weiterer Aufholbedarf: Professoren der Tertiärstufe forschen im Fachgebiet der Ergonomie, ohne sich als Ergonomen zu bezeichnen. Andere würden die Disziplin hingegen nicht als wissenschaftlich erachten, da sie nicht wüssten, worum es geht.

Mehr Produktivität als Folge eines «Well-Being-Faktors»

Während in Europa vorwiegend die Bezeichnung «Ergonomics» verwendet wird, wird in den USA, historisch bedingt, der Begriff «Human Factors» verwendet. Gemeint ist aber oft dasselbe: «Wenn wir mit den Elementen Mensch und Maschine arbeiten, steht immer im Vordergrund, dass der Mensch nicht geschädigt, aber auch die Leistungsfähigkeit Mensch erhalten bleibt», sagt Maggie Graf an einem Referat der Erfa-Tagung von Swissergo. Die Aufgabe der Internationalen Vereinigung für Ergonomie (IEA) bestehe nicht primär darin, gemeinsame Nenner beim Anwenden von Ergonomiefachwissen zu finden und neue Potenziale aufzuzeigen.

Das ursprüngliche Dokument der IEA «Core Competencies in Human Factors and Ergonomics (HFE)» stammt aus dem Jahr 2001 und wurde 2012 von mehreren internationalen Ergonomiegesellschaften zusammengeführt. Es gehe nicht nur darum, die Leistungsfähigkeit des Menschen zu erhalten, sondern ihm mehr Leistungsfähigkeit zu ermöglichen. Die ko­gnitive Ergonomie als Teilgebiet der Lehre von der menschlichen Arbeit beschreibt, wie der Mensch am besten mit technischen Systemen kooperieren oder interagieren kann.

Schon heute zeigt sich: Je mehr Informationen auf den Menschen einströmen, desto mehr Verantwortung muss er übernehmen. Besonders in der Produktion wandelt sich der Mensch durch den Einsatz elektronischer Hilfsmittel und durch die Automatisierung immer mehr zum Steuerungs- und Überwachungsexperten. Diese Mensch-Maschine-Interaktion ist ein Kerngebiet der modernen Ergonomie.

Laut Definition des aktuellen IEA-Dokuments steht der Begriff «HFE» für eine wissenschaftliche Disziplin, welche die Interaktionen mit menschlichen und «weiteren Elementen eines Systems» zu verstehen versucht. HFE-Experten wenden gemäss der IEA «Theorien, Prinzi­pien, Daten und Methoden» an, um das menschliche Wohlbefinden (well-being) mit der Systemperformance angesichts der Bedürfnisse, Fähigkeiten des Menschen in Einklang zu bringen.

Die IEA-Dokumente ermöglichen auch, Curricula für Trainingsprogramme zusammenzustellen. Ein Ergonom (oder HFE-Spezialist) soll den Einfluss der physischen, kognitiven und organisatorischen Aspekte der Arbeit hinsichtlich des Wohlbefindens und der Produktivität des Menschen verstehen.

Die «Idee», so Maggie Graf, bestehe jedoch nicht darin, «perfekt» in allen nötigen Disziplinen zu werden. Die meisten Ergo-Experten seien spezialisiert in ihrem Bereich, doch sei es immer wichtig, das ganze Arbeitsumfeld im Überblick zu behalten, um Probleme aus verschiedenen Bereichen zu erkennen und zu bewerten.

Würde man beispielsweise nur die kognitive Ergonomie oder die physischen Probleme in einer Organisation berücksichtigen, ohne die Unternehmensstrukturen zu betrachten, sei ein funktionierendes System zum Scheitern verurteilt. Die neuen IEA Guidelines thematisieren denn auch einen Anstoss, nach welchem Ergonomen mehr von Management-Praxis verstehen müssen, um in verschiedenen Geschäftsebenen mit allen Beteiligten sprechen zu können.

Eine dieser Kompetenzen beinhaltet das Messen und Analysieren von Massnahmen im Rahmen eines holistischen Systems anhand des Management-Kreislaufs (Plan, Do, Check, Act), um auf den «Well-Being»-Faktor des Menschen Einfluss zu nehmen.

Maggie Graf rät Ergonomen, in vielen technischen Komitees der IEA Mitglied zu werden. Die Interessensgruppen seien sehr vielseitig und nützlich, um auch während des Jahres über die verschiedenen Publikationen und Webinare viele Inputs mitzubekommen.

IEA Guidelines: https://bit.ly/39f0HzJ
Technische Komitees der IEA:
iea.cc/leadership/technical-committees

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