Eine hilfreiche Norm im Projektgeschäft

Die Normenreihe IEC 62676 möchte der Videobranche praktische und hilfreiche Standards und Empfehlungen geben. Noch eher unbekannt, aber äusserst wichtig, ist Teil 5 der Normenreihe. Er schafft Transparenz, was im Projektgeschäft sehr hilfreich ist.

© depositphotos, perig76

 

Die europäische Normenreihe DIN EN 50132 «Alarmanlagen – CCTV-Überwachungsanlagen für Sicherheitsanwendungen» wurde in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt durch die internationale Normenreihe IEC 62767 ersetzt. Mit der Veröffentlichung der Normenreihe hat sich die Sicherheitsindustrie auf einen einzigen globalen Standard für Videoüberwachungsanlagen geeinigt.

Immer wichtiger – die DIN EN IEC 62676-5

Bisher noch eher unbekannt, aber neben der DIN EN 62676-4 sehr wichtig, ist die DIN EN IEC 62676-5. Diese Norm trägt den vollständigen Namen: «DIN EN IEC 62676-5:2019-05; VDE 0830-71-5:2019-05 Videoüberwachungsanlagen für Sicherungsanwendungen – Teil 5: Leistungsbeschreibung und Bildqualitätseigenschaften für Kameras (IEC 62676-5:2018); Deutsche Fassung EN IEC 62676-5:2018». Dieser Teil der 62676-Normenreihe legt Empfehlungen und Anforderungen für die Darstellungs- und Messverfahren von Leistungswerten für die Beschreibung in Handbüchern, Prospekten und Spezifikationen von Videoüberwachungskameras fest. Dazu ist die Norm in vier Abschnitte unterteilt:

Der erste Abschnitt enthält die allgemeinen üblichen Anwendungsbereiche, normativen Verweise und Begriffsbestimmungen.

Der zweite Abschnitt enthält Anforderungen für die Beschreibung der Spezifikationsmerkmale von Videoüberwachungskameras. Hier werden explizit die unterschiedlichen Bauteile und Anschlüsse einer jeden Videoüberwachungskamera aufgezählt und für den Leser sehr gut beschrieben. Die Bauteile sind folgendermassen aufgeteilt:

  • Kamera (Bildsensor, Dynamikbereich, Weissabgleich, Auflösung etc.)
  • Objektiv (Brennweite, Sichtfeld, Bildverzeichnung)

Im Zeitalter von IP-Anschlüssen sind hier auch die Netzwerkanbindung und die damit einhergehende Anforderungen an die Netzwerksicherheit aufgeführt.

Nach dem zweiten Abschnitt hat der Leser bereits einen guten Überblick über den Aufbau einer Kamera und die unterschiedlichen Funktionen der einzelnen Baugruppen und Anschlüsse.

Im dritten Abschnitt werden die Anforderungen für die Messverfahren der zuvor beschriebenen Spezifikationsmerkmale von Videoüberwachungskameras erläutert. Hier geht es nun ins Detail. Konkret werden die jeweiligen Testaufbauten und Messverfahren erläutert, um jedes dieser Merkmale testen zu können. Dazu wird detailliert auf die jeweiligen Aufnahmebedingungen, Messumgebung, Prüfbilder und die benötigte Software für die Messungen eingegangen.

Steht der jeweilige Testaufbau und sind alle Bedingungen normenkonform eingerichtet, wird die Durchführung der einzelnen Messungen erklärt. Folgende Messverfahren werden aufgeführt:

  • Auflösung
  • Mindestbeleuchtung
  • Dynamikbereich
  • Sichtbarer Dynamikbereich (VDR)
  • Arbeitssichtabstand bei Infrarotbeleuchtung
  • Bildverzeichnung
  • Bildüberstrahlung
  • Bild-Erfassungsrate

Der vierte Teil besteht aus zahlreichen informativen Anhängen. Dort werden nochmal alle Messverfahren auf eine sehr detaillierte technische Art und Weise erklärt. Zudem liegen dort auch sehr viele Prüfbilder und die für Messungen benötigten Anleitungen bereit.

Nicht nur für Theoretiker

Nachdem der Inhalt grob umrissen worden ist, könnte man schnell der Meinung sein, dass diese Norm eher nur etwas für Theoretiker ist und eine Grundlage für Prüflabore darstellt. Um es vorwegzunehmen: Dies ist nur auf den ersten Blick der Fall.

Betrachtet man die Normreihe 62676 als Ganzes und hinterfragt ihren eigentlichen Sinn und Zweck, wird schnell klar, dass die Norm 62676-5 sehr hilfreich für die Praxis ist. Zudem gibt sie den Stand der Technik wieder, der für das alltägliche Projektgeschäft sehr hilfreich ist.

Welchen Sinn und Zweck verfolgt denn die Normenreihe IEC 62676 eigentlich? Die Normenreihe möchte der Branche praktische und hilfreiche Standards und dem Stand der Technik entsprechende Empfehlungen an die Hand geben. Sinn und Zweck der Normenreihe ist es, den Leser zu unterstützen, und zwar sowohl bei der Planung, bei Ausschreibungen, Abnahmen und wiederkehrenden Wartungen / Instandhaltungen als auch bei technischen Fragestellungen und Messungen einer Videoüberwachungsanlage.

Die Planung einer Videoüberwachung bedeutet im Grunde genommen nicht mehr, als geeignete Kameras an der richtigen Stelle zu montieren und geeignete Bilder zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort verfügbar zu haben, damit der Anwender die passenden Massnahmen ergreifen kann.

Aussagekräftige Datenblätter – ein frommer Wunsch

 Doch wie kann man im Projektgeschäft die geeignete Kamera finden? Die Auswahl am Markt ist sehr gross. Jährlich kommen neue Modelle hinzu. Möchte man nicht nur den Herstelleraussagen und aufgehübschten Videoclips im Internet glauben, ist es ratsam und durchaus sinnvoll, die technischen Details in den jeweiligen Datenblättern zu vergleichen.

Leider sind diese technischen Angaben oft nur theoretische Werte, die meist mit den Bildqualitäten in der Praxis nicht viel gemeinsam haben (siehe Artikel Kameratest).

Zudem wirken bei den Datenblättern auch immer die jeweiligen Marketingabteilungen kräftig mit. Ausserdem fällt schnell auf, dass sich die Kameramodelle auf den Datenblättern nicht mehr wirklich unterscheiden.

Daher ist unser Tipp immer, die Kameras unter realen Bedingungen zu testen, bevor eine Auswahl getroffen wird. Da dies jedoch immer sehr ressourcenintensiv ist und vor allem Zeit benötigt, wäre ein aussagekräftiges Datenblatt im Zusammenspiel mit der DIN EN IEC 62676-5 sehr hilfreich.

Aussagekräftige Datenblatteinträge wären wie folgt:

  • Wide Dynamik Range: 85 dB (gemessen nach IEC 62676-5)
  • Lichtempfindlichkeit: 1,2 Lux (gemessen nach IEC 62676-5)

Die Norm zeigt der Videobranche auf, mit welchen Problemen sie bis heute zu kämpfen hat. So sind die Werte, die in den Datenblättern abgedruckt werden, nicht aussagekräftig, das heisst, sie nützen wenig bei der Auswahl der richtigen Kamera.

Denn:

  1. Nicht aufgeführt ist, mit welchen Verfahren sie ermittelt wurden;
  2. Bildqualitätsparameter fehlen;
  3. Datenblätter enthalten unsinnige Daten wie z. B. 0 Lux bei Lichtempfindlichkeit;
  4. Angaben bei Parametern fehlen;
  5. Messverfahren sind nicht vorhanden bzw. nicht standardisiert.

Dies wurde zum wiederholten Male von der Image Engineering GmbH aus Kerpen in Zusammenarbeit mit der VZM GmbH überprüft. Die Werte auf den Datenblättern stimmen nicht mit den realen Werten der getesteten Kameras überein (vgl. auch «Video Security Spezial 2020» der Fachzeitschrift SicherheitsForum). Ein sinnvoller Vergleich kann somit nicht stattfinden.

Fazit

Damit in Zukunft die Auswahl der vielen Videokameras vereinfacht werden kann, müssen die Hersteller nun reagieren. Mit der neuen Norm ist die Grundlage geschaffen, um Qualität messbar zu machen!

Die nach dieser Norm gemessenen Werte würden dann auf einem anerkannten und standardisierten Verfahren beruhen. Dies schafft Transparenz und hilft schliesslich, sich für ein geeignetes Kameramodell zu entscheiden. Für das Projektgeschäft wäre das sehr dienlich.

Für die «guten» Kamerahersteller ist dies ebenfalls eine Chance, sich von billigen Kamerasystemen abzuheben. Durch die Umsetzung der genormten Messverfahren und daraufhin angepassten Datenblätter wird sich am Ende die Qualität beim Verbraucher durchsetzen.

Die Branche kann gespannt sein, wie die Hersteller auf diese Norm reagieren. Zu hoffen ist, dass dies zum Wohle der Planer, Errichter und Nutzer ausfallen wird!

Zum Autor

Fabian Hecker, Sicherheitsingenieur (B.Sc.), Sicherheitsberater / Security Engineer, Von zur Mühlen’sche GmbH

 

 

 

 

(Visited 160 times, 1 visits today)

Weitere Beiträge zum Thema

SICHERHEITSNEWS

Bleiben Sie informiert über aktuelle Sicherheitsthemen – praxisnah und zuverlässig. Erhalten Sie exklusive Inhalte direkt in Ihren Posteingang. Verpassen Sie keine Updates.

Jetzt anmelden!
anmelden
Sie können sich jederzeit abmelden!
close-link