«Eine klassische EMA wird überflüssig werden»

Was sich in den letzten 30 Jahren rund um die Einbruchmeldeanlagen alles geändert hat und welche Trends die Evaluation beeinflussen, dazu befragte die Redaktion Sascha Brügger, Leiter des strategischen Geschäftsfelds Einbruchmeldetechnik bei der Securiton AG.

klassische EMA
© Securiton AG

Herr Brügger, wie hat sich die Ein­bruch­meldeanlage (EMA) in den letzten 30 Jahren aus Ihrer Perspektive gewandelt?

Von 1990 bis circa 2015 geschah eher ­wenig, eine EMA blieb eine Insellösung, welche isoliert von anderen Systemen ihre Aufgabe erledigt. Mit dem neuen Zeitalter Industrie 4.0 veränderte sich sehr viel. Beispielsweise soll und muss eine Einbruchmeldeanlage heute mit mehreren anderen Systemen kommunizieren. Ein sicheres Bedienen des EMA-Anlagenparks von überall auf der Welt ist mittels Smartphone oder Webbrowser Standard. Auch ohne Managementsystem: Es muss also eine Cloud-Lösung sein und Bediengeräte müssen intuitiver, aber auch optisch ansprechender sein. Das System muss jedoch noch immer «autark» vor Ort (ohne Kommunikation mit einer Cloud oder anderen Systemen) seine Kernaufgabe ausführen respektive das Objekt sichern und alarmieren können.

Die Zahl der Einbrüche ist gemäss der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) rückläufig. Ist eine klassische EMA überflüssig geworden?

Es ist sehr erfreulich, dass die Zahl der Einschleichdiebstähle rückgängig ist. Die klassische, traditionelle EMA der vergangenen Jahrzehnte wird zukünftig tatsächlich überflüssig sein. Eine EMA, welche mit «Umsystemen» kommuniziert und mit diesen selbst Entscheidungen trifft und ausführt, wird es brauchen – diesen Trend sehen wir schon heute ganz klar.

Haben Sie konkrete Beispiele?

Wie schon erwähnt, muss die zu definierende Kernzone immer überwacht bleiben und ein System alarmieren können. Sowohl Privatkunden mit Wohnungen oder Häusern, Institutionen wie Militär, Gefängnisse, Museen als auch kritische Infrastrukturen wie Energieversorger, Rechenzentren und Banken werden auch in Zukunft ein zu 100 Prozent autonomes System fordern. Dieses muss autark funktionieren, unabhängig davon, ob die Stromversorgung und damit die Kommunikation nach aussen unterbrochen ist oder ein Saboteur versucht, das System lahmzulegen.

Wie wird sich das Zusammenspiel mit Anlagen entwickeln?

Um den Kunden eine höhere Sicherheit und dabei eine noch kostengünstigere Lösung zu bieten, müssen die Systeme miteinander kommunizieren können. Dieses Zusammenspiel wird nicht nur vermehrt mit der Zutrittskontrolle oder Videosystemen stattfinden, es werden weitere Systeme (wie Aussenschutz, ­Audio, Licht) oder Melder direkt mittels IP eingebunden. Freuen Sie sich, es wird spannend.

Was ist heutzutage die grösste Herausforderung bei der Bereitstellung bzw. Evaluation einer EMA im digitalen Zeitalter?

Wenn Sie das Kundensegment kennen, welches Sie bedienen möchten, ist das Analysieren der Kundenanforderungen und der Normen wichtig, welche das System erfüllen muss. Erst dann haben Sie eine ungefähre Vorstellung bezüglich der Systemanforderung. Systeme für die Überwachung von mehreren grossen Objekten mit höchster Sicherheitsanforderung gibt es im DACH-Markt nur knapp eine Hand voll – die Auswahl ist also klein. Für die Kundensegmente von mittelgrossen Objekten mit hoher Sicherheitsanforderung bis zum Schutz von kleinen Einfamilienhäusern oder Wohnungen gibt es eine grosse Vielzahl von Systemanbietern. Falls Sie den Markt nicht kennen, empfiehlt sich ein detaillierter Deskresearch, um danach Ihre Top 3 bis Top 5 einer Nutzwertanalyse zu unterziehen und die für Sie geeignetsten Anbieter zu einem Gespräch einzuladen, um allfällige Fragen zu klären. Beispielsweise wie einfach sich das System installieren, programmieren und instand halten lässt und welche Innovationen in den nächsten Jahren geplant sind.

Haben die aktuellen und sicher künf­tigen Anforderungen des vernetzten, lernenden Gebäudes Auswirkungen auf die Überlebenschancen von EMA-System­anbietern?

Wie erwähnt, gibt es aktuell im Kundensegment für kleinere bis mittelgrosse Objekte noch sehr viele Systemanbieter; dies wird sich ändern. Ich nehme an, dass in den nächsten zehn Jahren ein Drittel bis die Hälfte der aktuellen traditionellen Anbieter vom Markt verschwinden werden. Auch im Segment der Überwachung von grossen Objekten mit höchster Sicherheitsanforderung muss davon ausgegangen werden, dass nicht alle Systemanbieter das Know-how und die Ressourcen bereitstellen können, um diesen Trends zu folgen.

Warum?

Die Komplexität wird weiter zunehmen, vernetzte Lösungen sind gefragt. Ein Zugriff von überall (via Mobile und Web) ist schon längst ein Muss, ebenso die Kommunikation mit anderen Systemen vor Ort. Künftig werden Teile der Intelligenz einer EMA nicht mehr vor Ort, sondern in der Cloud der Anbieter sein. Diese wird Daten mit anderen Cloud-Diensten austauschen (Cloud-2-Cloud) und darauf basierend Entscheidungen treffen.

Fazit: Wenn man hybride Lösungen anbietet, braucht es spezifisches Fachpersonal, dieses muss man finden, weiterbilden, bezahlen und halten können. Also achten Sie darauf, wie das Unternehmen aufgestellt ist, mit welchem Sie zusammen­arbeiten, und ob es den künftigen Herausforderungen gewachsen sein wird.

Wie verhält es sich im Segment der Privatkunden?

Genau gleich. Es gibt zwei bis drei EMA-Systemanbieter mit hybriden Lösungen, welche im Segment Privatkunden den Markt mit innovativen, stabilen, sicheren und intuitiven Produkten beleben und damit auch Erfolg erzielen. Diese werden sich auch in Zukunft halten oder noch mehr durchsetzen können.

Dazu kommen in diesem Massenmarkt künftig vermehrt Lösungen von Tech-Giganten und weiteren Technologieunternehmen, welche aktuell branchenfremd sind, aber eine funktionierende Cloud-Infrastruktur haben und schon heute ­Lösungen für Endkunden anbieten.

Es ist schon heute davon auszugehen, dass diese früher oder später Home-Security-­Lösungen am Markt anbieten werden, welche die Kundenbedürfnisse erfüllen werden und preislich attraktiv sind.

Wie beeinflussen gegenwärtig die Normendiskussionen die Gegeben­heiten einer EMA?

Diese beeinflussen die EMA, und die Systemanbieter versuchen, die Normen zu beeinflussen. Wie bekannt, folgen neue Normen meist unmittelbar auf neue Trends. Da ein Trend, beispielsweise eine Technologie, zunächst von einzelnen Trendsettern eingesetzt wird, dieser nach und nach zum Kundenbedürfnis wird, wird ein Standardisierungsprozess in Gang gesetzt. Erfreulicherweise ist auch hier sehr viel Bewegung im Spiel, wodurch die Normenarbeit und -diskussion vielfältiger geworden ist. Die Revision der EN 50131 hat neue Themen wie die Bedienung aus der Ferne erstmals behandelt. Dies war nur der Anfang, an vielen weiteren Interaktionen wird gearbeitet, damit die EMA in das Leben der Gebäude mit integriert werden kann – im Sinne eines autonomen Gebäudes. Die Prämisse der Normenarbeit ist, dass unsere Systeme weiter sicher bleiben.

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