Grenfell-Brand: Hätten die Opfer gerettet werden können?

Diese Woche wurde ein erster Bericht zum Grossbrand des Grenfell Towers in London veröffentlicht. Darin wird insbesondere die Feuerwehr kritisiert.

Grenfell-Grossbrand
© depositphotos, InkDropCreative

Mehr als 70 Menschen verloren beim Grenfell-Grossbrand vor über zwei Jahren ihr Leben. Wie immer in solchen Fällen wird nach Schuldigen gesucht. Die Untersuchungskommission hat die erste Phase ihrer Untersuchungen abgeschlossen – ein über 800 Seiten umfassender Bericht liegt jetzt vor.

Gemäss dem Vorsitzenden der Kommission, dem pensionierten Richter Martin Moore-Bick, war in erster Linie das Material der Aussenfassade für die verheerend rasche Ausbreitung des Feuers verantwortlich, wie Moore-Bick in der NZZ vom 30. Oktober 2019 zitiert wird. Bei den installierten Platten aus Aluminium und Polyäthylen seien Bauvorschriften verletzt worden, wie es, gestützt auf den Bericht, im Blatt weiter heisst.

Rasche Evakuation hätte Menschenleben gerettet

Zwar werde im Bericht der ausserordentliche Mut und die Aufopferungsbereitschaft der Feuerwehr betont, doch die Vorgesetzten müssten sich Vorwürfe gefallen lassen. Denn die Feuerwehr habe den Bewohnern geraten, in ihren Wohnungen auf Rettung zu warten. Doch diese Information, sie wurde von der Feuerwehr rund eine Stunde lang aufrecht erhalten, sei irreführend gewesen. Die Folgen: Ohne diesen Fehler wären weniger Opfer zu beklagen, wie es, gestützt auf den Bericht, heisst. Denn mit einem raschen Evakuationsbefehl hätten die meisten Opfer gerettet werden können. Dem hält die britische Feuerwehrgewerkschaft entgegen, es gebe keine Beweise, dass eine frühere Evakuation des Gebäudes mehr Leben gerettet hätte.

Auch die Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (VFDB), ein Expertennetzwerk für Schutz, Rettung und Sicherheit, sowie der Deutsche Feuerwehrverband, melden sich in dieser Sache zu Wort. Sie sprechen von Vorverurteilung durch die Medien. Die VFDB lässt in ihrer Mitteilung wissen: «In zahlreichen Berichten wurde der Feuerwehr wegen angeblich schwerwiegender Fehler systematischer Natur unter Berufung auf den vorab bekannt gewordenen Untersuchungsbericht Mitschuld am Tod zahlreicher Menschen gegeben.» VFDB-Vizepräsidentin Anja Hofmann-Böllinghaus kommentiert den Bericht wie folgt: «Es ist kaum zu glauben, dass man angesichts der schlimmen Baumängel an und im Gebäude zu einem solchen Schluss kommen kann.»

Staatliche Kontrollen wurden privatisiert

In der zitierten Untersuchung werde, so der VFDB, zwar eingeräumt, dass sich das Feuer am Gebäude wegen einer Fassadenverkleidung aus leicht entzündlichem Material rasch habe ausbreiten können. Dennoch werde der Feuerwehr eine Mitschuld an der Katastrophe gegeben und kritisiert, dass die Feuerwehr auf eine solche Katastrophe nicht vorbereitet gewesen sei. «Es erscheint geradezu absurd, für ein solches, nicht vorhersehbares Unglück im Nachhinein die Feuerwehr mitverantwortlich zu machen», so Hofmann-Böllinghaus, die zudem betont: «Stattdessen sollte gefragt werden, welche Behörden schon lange vorher von den eklatanten Baumängeln gewusst und nichts unternommen haben. In den letzten Jahrzehnten ist staatliche Kontrolle auch in Grossbritannien weitgehend privatisiert worden. In diesem Zuge mussten auch Feuerwehren Aufgaben abgeben – diese politischen Entscheidungen kann man aber jetzt nicht im Nachhinein den Feuerwehren zur Last legen.»  (rs)

 

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