Hand in Hand: Sicherheits- und Gebäudetechnik?
Den Megatrend in der Sicherheits- und Gebäudetechnik bilden gewerkeübergreifende Sensoren, welche erst die Interaktion von Geräten mit der Umgebung erlauben. Darauf aufbauend schaffen dann künstliche Intelligenz und das Internet der Dinge neue Kooperationsmodelle für die Unternehmen und hiermit einen Mehrwert für den Kunden.
Die Digitalisierung ist in aller Munde und wird als etwas Neues und Revolutionäres verkauft – dabei wird in der Gebäudeautomation seit über 30 Jahren nur noch digital gearbeitet. Nach Brian Arthur (https://bit.ly/2WX3Dcv), Ökonom mit dem Spezialgebiet komplexe und High-Tech-Ökonomien, ist es auch nicht die Digitalisierung, die die Welt verändert, sondern die überall präsenten Sensoren, welche die Umwelt erfassen und die Daten zur Verfügung stellen. Historisch betrachtet beginnt der Siegeszug des Digitalen bereits in den 1970er-Jahren, als neben den grossen, teuren und zentralen Rechnern plötzlich Personal Computers entstehen, welche dezentral, kostengünstig und klein tausendfach Rechenleistung zur Verfügung stellen. In den 1990er-Jahren kommt – stark geprägt durch Tim Berners-Lee – das Internet hinzu, welches nun erlaubt, Daten für alle über grosse Distanzen auszutauschen. Verstärkt beginnen ab 2010 die bis zu diesem Zeitpunkt von der realen Welt abgekoppelten Computer, in Kontakt mit der Umwelt zu treten. Das Zeitalter der Sensoren entwickelt sich. Ohne Sensoren sind keine selbstfahrenden Autos und auch keine künstliche Intelligenz denkbar. Beide sind auf den Austausch mit der Umwelt angewiesen.
Megatrends künstliche Intelligenz und IoT
Bis anhin steht hinter jedem Computer ein Mensch und im Gebäude haben wir uns an hierarchische, stark arbeitsteilige Strukturen gewöhnt: Die Feldebene misst und stellt, die Automationsebene regelt und die Managementebene kontrolliert und wertet aus (EN 16484). Das Denken in einzelnen Gewerken (Heizung, Lüftung, Licht, Brandschutz, Zutritt usw.) führt gemäss Abbildung 1 zu siloartigen Gebilden, die noch durch eine Kommunikation ins Internet ergänzt werden. Diese Strukturierung ist überholt, wird aber in der Praxis immer noch angewendet. Heute interagieren dezentrale Geräte ohne Eingreifen des Menschen, fällen hierbei vernünftige Entscheide und lernen aus der Vergangenheit. Die Technik nähert sich ein Stück weit der Natur an und hierarchische Strukturen werden durch «organische» ersetzt. Hierzu braucht es künstliche Intelligenz (Artificial Intelligence: AI) und das Internet der Dinge (Internet of Things: IoT).
Auswirkungen auf das Gebäude und dessen Betrieb
Gebäude werden geplant, gebaut, betrieben und nach einigen Jahrzehnten umgenutzt. Die Herausforderung, dass die verwendete Technik eine viel kürzere Lebensdauer als die Gebäudestruktur hat, muss bereits in der Planung berücksichtigt werden. Beispielsweise muss sichergestellt sein, dass über den Gebäudelebenszyklus die Technik problemlos auf den neusten Stand gebracht werden kann, dies betrifft die Hard- und Software und die Kommunikation.
In der Praxis: Entwickeln, Planen und Betreiben von IoT-Lösungen
Wird ein Gebäude erstellt, greifen Planende auf bestehende und bewährte Entwicklungen zurück und versuchen durch eine geschickte Kombination von Teillösungen ein neues Gesamtes zu gestalten. In einer sich schnell ändernden Welt suchen sie Lösungen, welche rasch an neue Gegebenheiten angepasst werden können. IoT-Lösungen müssen sich durch spezielle Eigenschaften auszeichnen, welche sowohl die Hard- und Software wie auch die Kommunikation betreffen. Hierzu einige wichtige Eigenschaften: Die eingesetzten Systeme müssen eine Versionierung und ein Build-Management beinhalten. Die Security-Aspekte sind bereits in der Entwicklungsphase berücksichtigt worden und das Produkt muss über Jahre durch Updates und die Einführung neuer Technologien auf dem neusten Stand gehalten werden können. Während früher in sich geschlossene Lösungen bevorzugt wurden, gilt es heute auf offene Standards zu setzen. Zudem sollten Hersteller, welche minimale Sichheitsstandards berücksichtigen, bevorzugt werden. Themen aus der Computerwelt wie Vertraulichkeit (Confidentiality), Datenintegrität (Integrity) und Verfügbarkeit (Availability) müssen in der Planungsphase geklärt werden.
Die Planung von Gebäudeautomationslösungen beschränkt sich nicht nur auf die technischen Aspekte. Es braucht eine Klärung der Rollen (wer ist wofür zuständig?), der Vorgaben an die Gebäude und deren Interaktion. Bereits in dieser Phase werden die integralen Tests (Merkblatt SIA 2046), welche gewerkeübergreifend die Funktionalität garantieren, für die Inbetriebnahme und den Betrieb der Gebäude aufgesetzt.
IoT-Lösungen setzen sowohl bei den Mitarbeitenden als auch bei den Kunden, den Herstellern und den Behörden neue Kompetenzen voraus. Insbesondere ist im Vorfeld zu definieren, wie Hersteller auf das System zugreifen können, wie zukünftige Aktualisierungen gemacht, wie kritische Ereignisse aufgezeichnet werden und wie das notwendige Fachwissen der Mitarbeitenden erhalten bleibt. Waren die früheren Systeme relativ sicher vor Fremdeinflüssen, ist dies gerade bei IoT-Systemen eine grosse Herausforderung. Neben den bereits erwähnten Anforderungen ist auch zu planen, wie bei einer Panne ein vorhergehender Softwarestand wieder reaktiviert werden kann. Eine Prozessbeschreibung hilft Sicherheitsvorfälle systematisch abzuhandeln bis hin zur Klärung von Haftungsfragen.
Datenaustausch: Heutige Strukturierung
In der Praxis gibt es nach wie vor viele Möglichkeiten, wie Daten ausgetauscht werden können. Findet der Austausch auf der Feldebene statt, ist man schnell und unabhängig von oberen Ebenen. Wird alles über das Netz in der Cloud verarbeitet, ist man zwar universell, dafür langsam und anfällig für Ausfälle der Kommunikation (vgl. Abbildung 3).
Datenaustausch: Zukünftige Strukturierung
Der Kunde erwartet heute, dass seine Daten, Betriebszustände der Anlagen und Eingriffsmöglichkeiten weltweit und jederzeit verfügbar sind. Diese Forderung favorisiert internetbasierte Technologien mit dem entsprechenden Anschluss der Datenbanken. Zusätzlich sind Hard- und Softwarekosten extrem stark gesunken, und hohe Rechenleistung kann auf kleinstem Raum direkt in Sensoren verbaut werden. Diese technische Entwicklung ermöglicht Konzepte, die früher undenkbar waren, aber den Gesamtnutzen des Systems stark steigern. In der Praxis haben sich einige Begriffe etabliert, welche die technischen Ausprägungen der Lösungen beschreiben (vgl. Abbildung 4):
Cloud-Computing: Die Intelligenz wird in ein «Rechenzentrum» ausgelagert; jeder kommuniziert über das Internet mit der Cloud.
- EDGE-Computing: Die lokale Intelligenz wird gestärkt, es gibt idealerweise genau einen Eintrittspunkt für das Internet mit der Cloud-Anbindung; der Firewall-Schutz des Internets wird zentralisiert, professionalisiert und kann von einer Stelle aus gewartet werden.
- FOG-Computing: Die lokale Intelligenz wird nochmals gestärkt; alles, was lokal entschieden werden kann, bleibt lokal und macht keinen Umweg über das Internet; lokal wird eine Automationshierarchie, wie bei der traditionellen Gebäudeautomation, erstellt, das System wird schneller, zuverlässiger und stabiler; über den FOG-Servern folgt typischerweise ein EDGE-Router.
FOG-Computing löst die heutigen Problemstellungen am besten. Es erlaubt
- lokal verteilte künstliche Intelligenz, welche sowohl vernetzt wie auch autark eigene Entscheide fällen kann;
- Kommunikation unter intelligenten Geräten, ohne von einer zentralen Stelle dazu aufgefordert zu werden;
- Lernen aus der Vergangenheit für die Zukunft und Erkennen neuer Geräte ohne Zutun des Menschen.
Das zentrale Hirn (Managementebene) wird in der heutigen Funktion nicht mehr benötigt, da lokale künstliche Intelligenz diese Rolle übernimmt. Hiermit steigt die Zuverlässigkeit, und Gewerke können ihre Daten direkt austauschen. Auch der Unterbruch einer Kommunikationsleitung führt nicht mehr zum Stillstand des Systems.
Das intelligente Gebäude: Forschung und Realität
Die heute verfügbare Technik erlaubt ein Gebäude vollständig mit dem Internet der Dinge auszurüsten und zu betreiben. Hierzu braucht es als Rückgrat eine ethernetbasierte Verkabelung, Sensoren, welche ihre Daten über das eigene Gewerk allen anderen zur Verfügung stellen, und Algorithmen, welche die Sensordaten für intelligente Automation auswerten. Dabei wird nicht unterschieden, ob es sich um Heizung, Kühlung, Licht, Zutritt, Brandschutz oder die Ortung von Personen im Gebäude handelt. Damit kommen wir auf die Eingangsthese zurück: Das Zusammenwachsen der Gebäude- und Sicherheitstechnik ist bereits Realität. Uns behindert also nicht die Technik, sondern alte Denkmuster der Aufteilung in einzelne, unabhängige Gewerke. Dies gilt es zu überwinden. Während in Europa erst Prototypen gebaut werden, realisieren progressive Bauherren in Kalifornien bereits die ersten kleinen Liegenschaften (Beispielliegenschaft unter https://bit.ly/2HIIKv8).
Die Einführung des Internets der Dinge passiert fast unmerklich. Neben den traditionellen Gewerken werden neue Felder dazukommen wie beispielsweise die Integration von «passiven Sensoren», welche etwas über den Bauteilezustand aussagen können (z.B. Sensoren eingegossen in Beton, die situativ ausgelesen werden können). Dies erlaubt eine weitere Vernetzung am Bau im Bereich Planen, Bauen, Bewirtschaften und Rückbauen. Hiermit sind wir dann beim Thema Building Information Modeling (BIM) mit einem digitalen Zwilling angelangt.
Letztlich geht es nicht darum, eine neue Technik ohne Mehrwert für den Kunden zu schaffen. Dieser Mehrwert können gefühlte und erlebte Kundeninteraktionen (user experiences), kundenbezogene Services (personalized service), Datenanalyse (data analytics) und neue Geschäftsmodelle und Anwendungen basierend auf künstlicher Intelligenz (artificial intelligence) sein. Es werden sich also Lösungen durchsetzen, welche sowohl den Kunden einen Mehrwert als auch den Unternehmen Verdienstmöglichkeiten bieten. Das Silodenken wird durch Kooperationslösungen überwunden.
JÜRG BICHSEL
Prof. Dr. Dipl. El.-Ing. ETH, Leiter Institut Energie am Bau, Hochschule für Architektur, Bau und Geomatik, Fachhochschule Nordwestschweiz