«Hat man weniger zu tun, passieren mehr Fehler»
Die Galledia Group AG, welche auch die Fachzeitschrift SAFETY-PLUS herausgibt, gilt als das grösste unabhängige Medienunternehmen in der Ostschweiz. Zu den Produktionsstandorten zählt eine der modernsten Bogenoffset- Druckereien mit Sitz am Standort Flawil. Als Sicherheitsbeauftragter (SiBe) ist Pascal Strässle zuständig für die Arbeitssicherheit.
Herr Strässle, welches waren letztes Jahr die häufigsten Betriebsunfälle?
Die meisten Unfälle ereignen sich durch Unachtsamkeit. Es sind in der Regel typische Unfallvorkommnisse wie Stolpern und Ausrutschen. Letztes Jahr hatten wir einen Unfall – mit der Folge eines Handgelenkbruchs, bedingt durch fahrlässiges Rückwärtslaufen in der Nähe des Sammelhefters. Einmal ist eine Person bei einer Treppe gestürzt, die sich nicht am Handknauf abgestützt hat. Was bei uns auch häufig vorkommt, sind Fingerverletzungen beim Abbinden oder Entbinden von Paletten.
Kam es dabei auch hie und da zu sogenannten «Beinahe-Unfällen»?
Die Suva ist tatsächlich jedes Mal sehr zufrieden bei den Betriebsrundgängen. Zu einem Beinahe-Unfall kam es einmal, als ein Mitarbeiter die aufgeschnittenen Plastikbändel einer Palette im Müllcontainer entsorgt hatte: Die straffen Bänder sind wieder aufgesprungen und der Mitarbeiter hat sich am Auge verletzt, jedoch Glück gehabt, dass er das Augenlicht nicht verlor. Ein paar Millimeter an einer anderen Stelle und er wäre auf einem Auge erblindet. Seither haben wir entsprechende Vorsichtsmassnahmen getroffen, die gefährlichen Bändel künftig beim Entsorgen immer zusammenzukleben. Unsere Mitarbeitenden wurden infolgedessen angewiesen, in Zukunft die Paletten – in einem rechten Winkel zum Absperrband – aufzuschneiden, damit die elastischen Bänder nicht vor dem Mitarbeitenden, sondern nur neben ihm aufplatzen können. Bei den eigentlichen Inspektionen wird in der Regel nur etwas Kleines gefunden.
Wie werden die schweren Lasten (Druckplatten, Druckbögen, Printerzeugnisse) bewegt?
Wenn die Papierstapel gewendet werden müssen, steht uns ein elektrischer Stapelwender zur Verfügung, mit der die Last gehoben und gewendet wird. Für den Transport von A nach B haben wir Hubwagen. Für die Handarbeit besitzen wir elektrische Hubwagen, welche Paletten in die gewünschte Arbeitshöhe befördert.
Wie sieht ein typischer Arbeitsalltag eines SiBe bei Galledia in Flawil aus?
Ich führe mein Amt als SiBe neben meinem normalen 100-Prozent-Pensum als Mitarbeitender der Vorstufe aus. Einmal im Monat steht ein grösserer Rundgang an: Das betrifft die Räume der Produktion, den Chemieraum und sämtliche Notausgänge sowie den Defibrillator. Laufend von mir kontrolliert werden auch sämtliche Korridore und die Sanitätskoffer.
Maschinenvorfälle wie plötzliches Rinnen von Flüssigkeiten werden in der Regel ohnehin gemeldet. Es gibt aber noch viele weitere Sicherheitsaspekte zu beachten. Paletten dürfen beispielsweise nie ganz nach oben gestapelt werden, obwohl an der Decke LED-Leuchten zum Einsatz gelangen. Spezielle Vorsichtsmassnahmen sind auch bei externen Montagearbeiten vonnöten. Beispielsweise darf ein Schweisser freitags nicht schweissen, da sich übers Wochenende ein Brand entfachen kann.
Wer bei uns einen Neueintritt hat, wird bereits am ersten Tag durch mich persönlich geschult. Ich führe die Person durch sämtliche Notausgänge und erkläre den Ablauf bei einem Brandalarm.
Darüber hinaus bin ich auch zuständig für Schulungen und Massnahmen zur Arbeitssicherheit und Hygiene. Die Massnahmen zu Corona-Pooltests kamen beispielsweise von der Geschäftsleitung. Das eigentliche Organisieren der Speicheltests hat jedoch einige Tage beansprucht. Wenn ein Pooltest positive Resultate aufweist, fallen meist viele ungeahnte administrative Tätigkeiten an.
Am Standort Flawil lagern mehrere Tonnen Papier. Welche besonderen Herausforderungen ergeben sich für den Brandschutz?
Alle Papierlieferungen kommen bei uns «just in time»: Alles, was an einem Tag eintrifft, wird auch am selben Tag verarbeitet. Eingelagert sind bei uns etwa 15 Tonnen im Keller. Die Tagesrationen für Zeitschriften belaufen sich auf rund 20 Tonnen. Bei einem Brandalarm wird immer ein Grossaufgebot bei der Feuerwehr ausgelöst.
Unsere Brandmeldesysteme verfügen über hochsensible Wärme- und Geruchssensoren. Der gefährlichste Teil unserer Stoffe lagert im Chemieraum, der demnächst eine eigene Brandschutztüre erhält und mit einem Code-Zugangssystem ausgestattet wird. An Chemikalien für die Maschinen lagern wir nur, was wir überhaupt benötigen. Ein zusätzlicher Chemielagerschrank in der Produktionshalle hält bei einem Brand 90 Minuten durch, bevor die Feuerwehr einschreiten würde.
Welche Schutzausrüstung müssen die Mitarbeiter vor Ort tragen? Ist ein Lärmschutz in bestimmten Bereichen erforderlich?
Alle unsere Mitarbeitenden in der Produktion tragen Sicherheitsschuhe und haben personalisierten Ohrenschutz (von jedem einzelnen Ohr wurde ein Abdruck des Gehörgangs gefertigt), Schutzbrillen hat es an den Standorten, an welchen abgebunden und die Chemie aufgefüllt wird.Unsere Mitarbeitenden benützen zum Reinigen mit Chemikalien Plastikhandschuhe, ein Atemschutz wird nicht gebraucht. Beim Abfüllen steht eine Schutzbrille zur Verfügung, damit keine Spritzer ins Auge gelangen. Wenn dies doch passieren sollte, haben wir eine Augendusche dafür aufgehängt, um auszuwaschen.
Haben sich in den letzten Jahren auch schon Notfälle ereignet?
Einmal explodierte bei einer kleinen Bodenputzmaschine eine Batterie. Danach hat die Feuerwehr die Produktionshalle mit grossen Ventilatoren durchgelüftet. Einen richtigen Brand hatten wir zum Glück noch nicht. Nur einmal vor acht Jahren entflammte nahe einer UV-Lampe ein Papierbogen. Den Brand konnten wir jedoch umgehend löschen. Die Feuerwehr ist aber dennoch eingerückt. Wie ist das Evak Team im Falle eines Brandvorfalls organisiert? Ein Alarm bedeutet in der Regel in unserem Betrieb «normal weiterarbeiten». Pro Stock und Abteilung haben wir verschiedene Evakuations- und Stv. Evakuationsverantwortliche. Diese verfügen über ihre eigenen Notfalltaschen mit grünen Westen. Sie kennzeichnen im Ernstfall, welche Stockwerte bei einem Brandfall nicht mehr betreten werden dürfen.
Bei einem Alarm findet sich das Evak-Team beim Empfang ein. Auf der Brandmeldeanlage wird abgelesen, wo sich der vermeintliche Brandort befindet. Dieser wird aufgesucht und kontrolliert und es wird evaluiert, ob es sich um einen Brand handelt oder nicht. Bei einem Brand wird der Handtaster gedrückt. Erschallt ein zweiter Alarm, greift unser Evak-Team zu seinen Handtaschen und alle Personen verlassen die jeweiligen Stockwerke. Aus diesem Grund führen wir auch eine Eintrittsliste beim Empfang, damit bei einem Brandfall sichergestellt ist, dass alle Personen, ob Besucher oder Angestellte, unser Gebäude umgehend verlassen.
Wie werden die nötigen Mitarbeitenden für ein Evak-Team evaluiert?
Es besteht eine Art «Sammelbox» an geschulten Mitarbeitenden. Grundsätzlich gilt: Auch wenn der grösste Kunde bei uns zu Besuch ist und unser CEO gerade ein Anliegen hat, übernimmt in einem Notfall das Evak-Team den Lead zu den Sicherheitsvorkehrungen. Wir hatten auch schon Fehlalarme bei der Evakuation, aber es funktioniert bei uns wirklich sehr gut und schnell. Mit einem Feuerlöscher zu hantieren, mag für gewisse Personen im Ernstfall ungewohnt sein.Bislang haben wir alle zwei Jahre einen authentischen Feuerlöschkurs durchgeführt. In Liveszenarien wurden beispielsweise Dosen gesprengt und das Reaktionsverhalten bei einem vermeintlichen Löschen von heissem Öl mit Wasser vorgeführt. Es wurde auch das Hantieren mit unterschiedlichen Feuerlöschern geübt.
Zwei Stunden davon durften auch der Arbeitszeit angerechnet werden. Das Feedback war jedoch von allen Beteiligten sehr gut. Ein Erste-Hilfe-Kurs wurde von dem naheliegenden Samariterverband durchgeführt. Dieser beinhaltete zudem einen Defi-Crashkurs und Liveübungsszenarien im Drucksaal, welche schauspielerisch dargestellt wurden. Eine Simulation mit Attrappen und Wachsblut war besonders authentisch. Ein Kunde, der bei uns während der Übungen zu Besuch war und nichts von unserem Übungsszenarien wusste, war in dem Moment, als jemand laut geschrien hat, ein wenig verdutzt (grinst).
Mit welchen besonderen Herausforderungen hattet Ihr während der Pandemie zu kämpfen?
Hat man weniger zu tun, passieren wesentlich mehr Fehler. Das haben wir auch letztes Jahr während der Kurzarbeitszeit bemerkt. Herausfordernd war vor allem das regelmässige «sich Informieren» über die geltenden Bestimmungen des Bundes. Ein Thema, das uns immer wieder unter Druck setzt, ist das Aufrechterhalten der Produktion bei Ausfällen. Würden wir bei negativen Pooltests immer drei bis vier unserer Drucker nach Hause schicken, würde es jeweils schnell eng werden am Standort Flawil.