Lebensmittelrückrufe & Produktwarnungen steigen
Die Zahl der öffentlichen Lebensmittelwarnungen ist weiter gestiegen. Im Jahr 2017 warnten die Behörden in Deutschland auf dem staatlichen Internetportal lebensmittelwarnung.de 161 Mal vor Lebensmitteln - das ist noch einmal rund zehn Prozent häufiger als im Jahr 2016 (147 Einträge).
Vor fünf Jahren war die Zahl der Meldungen gerade einmal halb so hoch (2012: 83 Einträge), wie eine Auswertung aller Meldungen auf lebensmittelwarnung.de durch foodwatch ergab. Allerdings veröffentlichen die Behörden nicht alle Produktrückrufe auf dem Portal. Die Verbraucherorganisation kritisierte, dass die meisten Produktrückrufe die Menschen nicht erreichten. Verbraucherinnen und Verbraucher würden nach wie vor nicht umfassend und schnell genug vor gesundheitsgefährdenden Lebensmitteln gewarnt, weil die Behörden Rückrufe oft nur verspätet online stellen. Ein bereits 2011 zwischen Bund und Ländern fest vereinbarter E-Mail-Newsletterservice über Produktwarnungen ist bis heute nicht eingerichtet. Auch Supermärkte informierten ihre Kunden häufig unzureichend, kritisierte foodwatch.
„In Deutschland werden jede Woche im Schnitt etwa drei Lebensmittel zurückgerufen – doch die Verbraucherinnen und Verbraucher erfahren häufig nichts davon“, sagte Lena Blanken von foodwatch. Neben einer Verbesserung des Portals lebensmittelwarnung.de sieht die Verbraucherorganisation vor allem den Handel in der Pflicht. Supermärkte sind bisher nicht dazu verpflichtet, die Kunden schnell und umfassend an zentraler Stelle über alle Rückrufaktionen aus ihrem Sortiment zu informieren. Dies müsse sich dringend ändern, so foodwatch: „Die Supermärkte haben direkten Kontakt zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern, informieren aber viel zu oft entweder gar nicht oder nur unzureichend über Rückrufe. Rewe, Aldi, Edeka und Co. müssen per Aushang in den Filialen, über Newsletter, Pressemitteilung und auch über die sozialen Medien die Kundinnen und Kunden vor gesundheitsgefährdenden Produkten warnen.“ Über eine E-Mail-Protestaktion unter www.warn-mich.foodwatch.de können Verbraucherinnen und Verbraucher diese Forderung an die Handelsketten unterstützen.
Von Glasscherben im Brot bis Salmonellen im Ei
In Deutschland hatten Bund und Länder die Internetseite lebensmittelwarnung.de im Jahr 2011 gestartet, um Rückrufe auf einer zentralen Plattform zu verbreiten. foodwatch hat alle Meldungen des Portals der vergangenen Jahre ausgewertet. 2017 stellten die Behörden 161 Rückrufe online – aus den unterschiedlichsten Gründen, von Glasscherben im Brot bis Salmonellen im Ei. Damit gab es, seit das Portal Ende 2011 online ging, nahezu konstant einen Anstieg der gemeldeten Rückrufe: 2012 waren es 83 Meldungen, 2013: 75, 2014: 107, 2015: 100, 2016: 147. Als zentrale Informationsplattform für Verbraucherinnen und Verbraucher ist lebensmittelwarnung.de aus Sicht von foodwatch aber gescheitert. Das Portal sei unübersichtlich und liefere Rückrufhinweise nur lückenhaft und oft verzögert: Jede zweite Warnung erscheint deutlich verspätet, wie ein Test von foodwatch in 2017 zeigte. Ohnehin finden sich auf der Seite in der Regel nur Meldungen, die auch die betroffenen Unternehmen schon veröffentlicht haben. Eine Einschätzung, warum es zu mehr Rückrufen kam, sei jedoch schwierig, so foodwatch-Expertin Lena Blanken: „Ob es zu mehr Vorfällen kam oder ob die Unternehmen mittlerweile einfach eher einen Rückruf starten, lässt sich aus den Zahlen nicht ablesen. Fakt ist: Wenn es zu einem Rückruf kommt, wird nicht alles dafür getan, die betroffenen Menschen zu warnen.“
Europäisches Lebensmittelrecht lässt viel Spielraum offen
Das deutsche und europäische Lebensmittelrecht lässt bisher viele Spielräume, wann ein Rückruf erforderlich ist. Ob und in welcher Form vor unsicheren Lebensmitteln gewarnt wird, hängt in erster Linie vom Willen und der Kompetenz der Unternehmen ab. Denn sowohl die Beurteilung des gesundheitlichen Risikos als auch die öffentliche Warnung ist in erster Linie Aufgabe der Unternehmen – die hier vor dem Interessenkonflikt zwischen einem Rückruf und möglichen negativen Folgen für das Unternehmen stehen. Den Behörden fehlt oftmals die Rechtssicherheit. foodwatch hatte im vergangenen Jahr in dem Report „Um Rückruf wird gebeten“ die Schwachstellen des Systems der Lebensmittelrückrufe aufgezeigt: Wichtige Lebensmittelwarnungen kommen bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern oft nicht an. In etlichen Fällen entscheiden sich Unternehmen und Behörden zu spät, manchmal auch gar nicht für eine erforderliche Rückrufaktion und die Information der Öffentlichkeit. Zudem werden dabei die gesundheitlichen Risiken der Lebensmittel, die zum Beispiel mit Bakterien belastet sind oder Fremdkörper enthalten, immer wieder verharmlost.
Quellen und weiterführende Informationen:
foodwatch-Report „Um Rückruf wird gebeten„
E-Mail-Petition an (deutsche) Handelsunternehmen
Redaktioneller Hinweis von Foodwatch: Gerade bei Produkten von kleineren, namentlich wenig bekannten Herstellerfirmen passiert es oft, dass Rückrufinformationen keine grosse Verbreitung finden. Vielen Medien ist dies keine Meldung wert. Doch unabhängig vom „Nachrichtenwert“ kann eine Meldung im besten Falle lebensrettend sein. Ob ein Mensch beispielsweise an einem listerienbelasteten Käse ernsthaft erkrankt, hängt schliesslich nicht davon ab, wie bekannt die Käserei ist oder in welcher Stückzahl der Käse produziert wurde.
Text: Foodwatch
Rückrufe in der Schweiz
Schweizer Unternehmer sind verpflichtet, ihre Produkte vom Markt zu nehmen oder zurückzurufen, falls die vom Betrieb importierten, hergestellten oder verkauften Lebensmittel oder Gebrauchsgegenstände die Gesundheit von Konsumenten gefährden respektive nicht sicher sind. Sie müssen dabei mit der zuständigen kantonalen Vollzugsbehörde zusammenarbeiten und alle erforderlichen Massnahmen treffen, um die betroffenen Produkte vom Markt zu nehmen (Rücknahme) oder, falls diese schon verkauft wurden, zurückzurufen (Rückruf). Falls das Produkt auch in die EU geliefert wurde, informiert das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) über das Schnellwarnsystem für Lebensmittel und Futtermittel RASFF oder im Falle von Konsumgütern via bekannte Kontaktstellen die Länder der europäischen Union.
Öffentliche Warnungen und Rückrufe von Lebensmitteln
Öffentliche Warnungen und Rückrufe von Gebrauchsgegenständen
Warnungen kann man auch via Twitter „Swissfoodalerts“ abonnieren