Leistungsorientierte Methoden im Brandschutz

Die Geschichte des Rahmenwerkes für den Brandschutz mit Anforderungen (Schutzzielen) und Nachweismethoden ist gut 100 Jahre alt. Die Einheits­temperaturzeitkurve (ETK) bildet den Grundstein für das heutige Konzept der Feuerwiderstandsklassen, jedoch sind Anwendungsgrenzen zu beachten.

Brandschutz
Bild: Assembly Studios

Von den Anfangstagen der ETK an waren Bauteile aus Holz in Untersuchungen zum Brandwiderstand inkludiert, wobei sich die ersten Bauteilklassifizierungen (Ministry of Works 1948) jedoch hinsichtlich Kriterien der Brennbarkeit des Mate­rials unterscheiden. Die weiterentwickelten Elemente des Brandschutzes unterscheiden zwischen dem Brandverhalten der Bauprodukte (Brennbarkeit wird in verschiedene Klassen eingeteilt) und dem Feuerwiderstand von Bauteilen (Funktionserhalt des Trag­widerstandes R, des Raumabschlusses E und der Isola­tionswirkung I), welcher losgelöst von der Brandverhaltensklasse geprüft und nachgewiesen wird.

Im Zuge vieler Forschungsarbeiten und Feuerwiderstandsprüfungen konnte gezeigt werden, dass durch die Berücksichtigung des Abbrandes an den Holzbauteilen die gestellten Anforderungen (R-E-I) erreicht werden können. Ergebnisse aus Feuerwiderstandsprüfungen wurden für die Entwicklung von Be­rechnungs­methoden herangezogen, welche im Euro­code 5 (CEN 2004) und in Handbüchern (z.B. Östman et al. 2010) zu finden sind und auch die Basis für Schweizer Stand der Technik Papiere (Lignum 2014) bilden. Der grosse Vorteil von allgemeinen Berechnungsmethoden ist die gewonnene Flexibilität, um eine Vielfalt an Konstruktionen ohne Vorliegen von Prüfergebnissen für die Nachweisführung heranziehen zu können.

Internationale Kritik

Nach der erfolgreichen Implementierung von flächenverklebtem Massivholz (Brettsperrholz, BSP; engl.: cross-laminated timber, CLT) am Markt wurden dem Holzbau ungeahnte Möglichkeiten eröffnet.

CLT zeigt hierbei architektonisch geschätzte Oberflächen, ist formstabil, kann exakt vorgefertigt werden, ist relativ leicht, ermöglicht die Ableitung grosser vertikaler und horizontaler Belastungen und eine schnelle, trockene Bauweise. Mit entsprechenden dicken Elementen können auch hohe Feuerwiderstandsdauern erreicht werden.

Kritiker erkannten einerseits die Flächenverklebung als Schwachstelle und ­sahen das Konzept der Ofenprüfungen hintergangen, nachdem die zugeführte Brennstoffenergie (Öl oder Gas) etwa nur 50 Prozent jener Menge ausmacht, welche für Betonbauteile notwendig wäre (Schmid et al. 2018). Sichtbare Holzbauteile stellen somit eine zusätzliche strukturelle Brandlast dar, sowohl im Prüfofen als auch in Bränden. Der damit verbundene Kritikpunkt der durch die brandausgesetzten Holzoberflächen veränderten Branddynamik in Bränden wurde bis ca. 2010 lediglich durch vereinzelte Compartment- und Fassadenbrandversuche begegnet. Die typischerweise höhere Intensität der Flammen an der Fassade ventilationsgesteuerter Brände wurde in der Regel qualitativ adressiert (z.B. Östman et al. 2010, 2018). Der Kern der Kritik betrifft den korrekten Umgang mit der schwer zu quantifizierenden strukturellen Brandlast infolge Brandexposition der Holzbauteile, welche je nach Planung des Brandraumes bzw. des Tragwerks theoretisch ein Vielfaches der mobilen Brandlast erreicht und damit das Brand­geschehen stark beeinflussen kann.

Hintergrund

Um Antworten auf die oben formulierte Kritik zu erarbeiten, ist es sinnvoll, die Hintergründe des Feuerwiderstandskonzeptes R-E-I zu diskutieren, z.B. ein Feuerwiderstand R60 (60 Minuten Tragfähigkeit unter ETK). Abb. 1 zeigt den Grundgedanken hinter dem Konzept R-E-I.

Leistungsorientierte Methoden im Brandschutz
Abb. 1: Prinzipdarstellung des Äquivalenzansatzes von Brandverläufen: Der Flächeninhalt Aeq der ETK (schwarze Kurve) entspricht jener von verschiedensten Brandverläufen (farbige Kurven; sechs exemplarische Verläufe), welche bei der Verbrennung der statistisch verfügbaren mobilen Brandlast entstehen können.

Durch die Verbrennung einer definierten Brandlast können entweder lange Brände mit vergleichsweise niedrigen Temperaturen (z.B. blaue Kurve in Abb. 1) oder kurze, sehr heftige Brände (z.B. rote Kurve in Abb. 1) entstehen. Für die Energiemenge, welcher die Bauteile ausgesetzt sind, wird die kumulative Temperatur-Zeit-Kurve als Stellvertreter (engl. «proxy») herangezogen (graue Fläche in Abb. 1), sie ist für alle Kurven in Abb 1. gleich. Somit kann in jedem Fall für die definierte Menge an Brandlast (hier: Wohnräume) davon ausgegangen werden, dass für Personen in angrenzenden Nutzungseinheiten, für Feuerwehren bei der Brandbekämpfung oder für angrenzende Gebäudeteile keine Gefahr durch ein mögliches Tragwerksversagen entstehen würde. Das heisst, es ist zu erwarten, dass Strukturen einen Brandverlauf bis zum Ausbrand (engl. «burnout») der Brandlast überstehen können. Dieser Grundgedanke stellte ein implizites Schutzziel dar, das bei der Entwicklung des Feuerwiderstandskonzeptes R-E-I definiert wurde. Es dient sowohl dem Personenschutz (Nutzer, Feuerwehr) als auch dem Sachschutz (Gebäude bzw. Gebäudeteile, benachbarte Einheiten). Andere Anforderungen in Bauordnungen, z.B. R90, wurden für andere Brandlasten oder auch auf Basis der Art und Nutzung der Gebäude intuitiv eingeführt. In manchen europäischen Bauordnungen wird die nachzuweisende Zeit des Tragwerkswiderstandes tatsächlich über die Gesamtbrandlastmenge bestimmt (Finnland, Estland). Während die Brandlast von Bekleidungen aus Holz recht gut quantifizierbar ist und laut Eurocode 1 (CEN 2021) in Zukunft nebst der mobilen Brandlast gesondert berücksichtigt werden muss, ist das Vorgehen bei strukturellen Bauteilen aus Holz nicht klar definiert.

Antworten der Forschung

Recht schnell konnte die Holzindustrie gemeinsam mit der Forschung erste Antworten finden, um dem Abfallen von verkohlenden CLT-Lagen im Brandfall zu begegnen. Zur Beschreibung des verminderten Tragwiderstandes infolge des erhöhten Abbrandes wurde für CLT das Treppenmodell als direkte Anwendung des Eurocodes vorgestellt (z.B. Frangi et al. 2009). In den letzten Jahren wurde ­Erfahrung zum Verhalten von Klebstoffsystemen gesammelt und auch Produktnormen geschaffen, welche die Anforderungen an CLT beinhalten (ANSI/APA 2017). Zudem ist die Beschreibung dieser Produkteigenschaft in Abhängigkeit vom Klebstoff mittels Prüfungen im Brandofen im Eurocode 5 (CEN 2021b) vorgesehen.

Die Gültigkeit von Ofenprüfungen für brennbare Baustoffe kann durch die Übereinstimmung typischer Prüfbedingungen mit den zu simulierenden ventilationsgesteuerten Bränden gezeigt werden (Schmid et al. 2018). In beiden Fällen ergeben sich in den Brandräumen niedrige Sauerstoffkonzentrationen, jede zusätzlich zugeführte Brandlast zieht somit keine weitere Energiefreisetzung (Verbrennung) im Brandraum nach sich. Jedoch kann auf Basis von Ofenprüfungen keine Aussage über die Branddauer oder einen Ausbrand in einem Brandraum unabhängig von der Brennbarkeit des Baustoffes getroffen werden. Die Anwendbarkeitsgrenzen des oben diskutierten Feuerwiderstandskonzeptes sind durch die implizit gesetzten Schutzziele mit der Menge der Gesamtbrandlast gegeben, die Auswirkungen einer Überschreitung sollten genau untersucht werden.

Der Gesamtenergieinhalt struktureller Bauteile kann unter Berücksichtigung des Heizwertes und der Masse einfach bestimmt werden. Für einzelne lineare Bauteile (z.B. eine Stütze) kann der Beitrag zur Gesamtbrandlast verschwindend gering sein. Es sollte allerdings beachtet werden, dass die vollständige Verbrennung eines Bauteils einen Kollaps der Struktur impliziert. Ein leistungsorientierter Ansatz kann mittels einer Ausbrandanalyse feststellen, ob der Ausbrand zeitlich vor einem Tragwerksversagen zu erwarten ist oder ob die Ausbildung des Brandraumes angepasst werden muss. Erste Nachweismöglichkeiten wurden hierzu vor Kurzem vorgestellt (CEN 2021b, Wade et al. 2018, Brandon 2018, Schmid et al. 2021). Damit steht dem Brandschutzingenieur eine Methode zur Verfügung, um den Personen- und Sachwertschutz entsprechend den Schutzzielen des Feuerwiderstandskonzeptes R-E-I im Holzbau zu verifizieren und den Einsatz der Feuerwehren in einfacher Weise zu unterstützen.

In leistungsorientierten Methoden werden projektspezifisch Szenarien für Bemessungsbrände untersucht. Hierbei werden von einer potenziellen Gefahr alle relevanten im Brandschutzkonzept vorhandenen Elemente erfasst (strukturelle, technische, organisatorische). Die Ereignisabfolge kann mit Entscheidungsbäumen (engl.: event-trees) oder mit dem sogenannten Swiss-Cheese-Modell (Abb. 2) dargestellt werden, wobei ein Schaden nur bei Durchlässigkeit durch alle Elemente (Käsescheiben) eintritt.

Leistungsorientierte Methoden im Brandschutz
Abb. 2: Wichtige Elemente eines Brandschutzkonzeptes zur Verhinderung von schweren Schäden, dargestellt als Swiss-Cheese-Modell.

Je verlässlicher ein Element, desto weniger Löcher hat die Scheibe. Die Ausbrandanalyse stellt nun ein zusätzliches Element dar (rote Scheibe in Abb. 2). Mit ­ihrer Anwendung kann das implizite Schutzziel des Feuerwiderstandskonzeptes überprüft und dieses verifiziert werden. Dies wird wichtig, wenn es sich um höhere Gebäude handelt (Frangi et al. 2008) oder um Gebäude oder Nutzungen, wo keine Erfahrungswerte von Bränden (statistische Daten) vorhanden sind.

Weiterführende Literatur

  • ANSI/APA PRG 320 Standard for Performance-Rated Cross-Laminated Timber, 2017.
  • Brandon, D. Engineering methods for structural fire design of wood buildings: Structural integrity during a full natural fire. Brandforsk, 2018.
  • Frangi, A. et al. Fire Design Concepts for Tall Timber Buildings, Structural Engineering International, 2008.
    Frangi, A. et al. Experimental analysis of cross-laminated timber panels in fire. Fire Safety Journal. 2009 November 1; 44(8):1078-87.
  • CEN 2004. EN 1995-1-2: Eurocode 5: Design of Timber Structures Part 1-2: General – Structural Fire Design. Europäische Norm, Brüssel.
  • CEN 2021a. prEN 1991-1-2: Eurocode 1: Actions on structures. Part 1-2: General actions – Actions on structures exposed to fire, September 2021.
  • CEN 2021b. prEN 1995-1-2: Eurocode 5 (Entwurf zur Revision): Design of Timber Structures Part 1-2: General – Structural Fire Design. Europäische Norm, Brüssel.
  • Lignum. Technische Dokumentationen zum Thema Brandschutz im Holzbau (10 Teile), Lignum, Zürich, 2015.
  • Schmid, J. et al. Brandeinwirkung auf Holzbauteile im Prüfofen und bei realen Bränden. Bautechnik. 2018 August; 95(8):524-34.
  • Schmid, J. et al. Structural timber in compartment fires – the timber charring and heat storage model. Open Engineering. 2021 Januar 1; 11(1):435-52.
  • Östman, B. (ed). Fire safety in timber buildings. Technical guideline for Europe. SP, 2010:19.
  • Östman, B. (ed). Guidance on Fire Safety of Bio-Based Facades, COST Action FP1404, Zürich, Switzerland, 2018. DOI: 10.3929/ethz-b-000319579.
  • Wade, C. et al. Predicting the fire dynamics of exposed timber surfaces in compartments using a two-zone model. Fire technology, 54(4):893–920, 2018.

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