Müssen Unternehmen «wetterfester» werden?
Durch den Klimawandel verändert sich auch die Gefahren- und Risikosituation bei baulichen Gegebenheiten. Ein umfassendes Risiko-Screening von Firmenarealen wird unerlässlich.
Der Klimawandel schreitet rasch voran. Bereits 2 Grad Erwärmung haben wir im Vergleich zum Referenzjahr 1864 hinter uns. Wenn die Freisetzung von Treibhausgasen uneingeschränkt steigt (RCP 8.5), wird eine zusätzliche Temperaturzunahme von 3,3 Grad gegenüber heute bis Mitte des Jahrhunderts erwartet. Selbst mit umfassenden Massnahmen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen (RCP 2.6) wird von einer Erwärmung von 2 Grad ausgegangen.
Der Klimawandel bringt jedoch nicht nur eine Temperaturerhöhung mit sich. Die saisonale Niederschlagsentwicklung wird sich stark verändern. Die mittlere Niederschlagssumme nimmt im Sommer ab, was vermehrte Trockensommer zur Folge hat. Im Winter wird diese hingegen zunehmen. Starkniederschläge werden häufiger und bis zu 30 % intensiver.
Die erwarteten Auswirkungen für verschiedene Emissions- respektive Erwärmungsszenarien liegen gemäss den Schweizer Klimaszenarien CH2018 vor.
Risikoanalyse
Bereits heute werden Naturgefahren als eines der drei grössten Risiken für Betriebsausfälle eingestuft. Das Erfordernis einer systematischen Betrachtung von potenziellen Naturgefahren und veränderten Gefährdungsgrundlagen durch den Klimawandel ist folglich gegeben.
Als Grundlage einer zukunftsorientierten Risikoanalyse zur Verminderung von Betriebsausfällen infolge eines Naturereignisses dienen die heute gültigen und die erwarteten Gefährdungsbilder. Ob Ihr Unternehmen von Naturrisiken betroffen ist, kann durch ein gezieltes Risiko-Screening in drei Phasen identifiziert werden.
- Betroffenheitsanalyse
- Risikoanalyse
- Massnahmenevaluation
Das Resultat der Betroffenheitsanalyse zeigt, ob das untersuchte Firmenareal im Gefahrenperimeter liegt, welche Teile des Firmenareals betroffen sind und von welchen Naturgefahren das Areal betroffen ist. Die Risikoanalyse mittels einer Begehung vor Ort zeigt die lokale Gefährdung der Objekte. Schwachstellen und Eindringpunkte an Gebäuden können so identifiziert werden. Zudem kann eine Schadenschätzung für Sach- und Personenrisiken im Ereignisfall erstellt werden. Die Risiken werden nach definierten Kriterien ermittelt, überprüft und bewertet. Darüber hinaus werden nicht tragbare Risiken priorisiert. Die Massnahmenevaluation zielt darauf ab, kostengünstige und wirkungsvolle Massnahmen zu identifizieren. Durch das Drei-Phasen-Risiko-Screening wird somit eine effiziente Ermittlung der Risiko-Hotspots möglich.
Nicht erkannte Gefahren und nicht bekannte Schwachstellen sind die Basis für unbewusst eingegangene Risiken. Solche gilt es zu vermeiden, indem die Gefährdungsbilder periodisch auf ihre Aktualität überprüft werden. Liegen keine behördlichen Gefahrengrundlagen vor, so können lokale respektive punktuelle Gefahrenabklärungen zielgerichtet diese Lücke schliessen.
Insbesondere bei der Evaluation von neuen Betriebsstandorten sollte darauf geachtet werden, dass zu allen massgebenden Gefahrenarten entsprechend detaillierte Grundlagen vorliegen. Ansonsten handelt es sich um einen Blindflug in Bezug auf die Risiken durch Naturgefahren. Als Gefährdungsgrundlagen dienen dazu unter anderem die Karten der naturbedingten Risiken: die bundesweite Gefährdungskarte Oberflächenabfluss sowie kantonale Gefahren- und Intensitätskarten für diverse Prozesse. Diese Karten sind auf den kantonalen Geoportalen zu finden.
Erkannte nicht akzeptable Risiken können im Rahmen von Neu- und Umbauten systematisch in den Planungsprozess einbezogen werden. Kann der Gefahr lokal ausgewichen werden? Ist eine resiliente Bauweise die Lösung? In den EU-Normen (Eurocode 1) sind Einwirkungen aus Erdbeben, Wind und Schnee seit längerer Zeit der Standard. Es fehlen die Regelungen zu den Einwirkungen aus Hochwasser, Oberflächenabfluss, Hagel, Rutschungen und dergleichen. Diese Lücke konnte in der Schweiz mittlerweile geschlossen werden. Sie fördert das naturgefahrengerechte respektive resiliente Bauen.
Hochwasser
Bei Hochwasser ist in Zukunft aufgrund der heftigeren Starkniederschläge eine lokal höhere Intensität zu erwarten. Diese Niederschläge wiederum verursachen Überschwemmungen als Oberflächenabfluss, welcher ebenfalls ins Gefährdungsbild einzubeziehen ist. Ein Paradebeispiel war der letzte Sommer 2021, als der Bund für die Hochwassersituation der Oberflächengewässer an einigen Stellen der Schweiz die höchste Warnstufe ausgerufen hat. Aufgrund der späten, raschen Schneeschmelze und heftiger Gewitter wurden diverse hydrologische Höchstwerte seit Beginn der Messperiode übertroffen. Seen wie der Neuenburgersee, der Vierwaldstättersee oder der Thunersee sind über die Ufer getreten. Hochwasser gab es in kleinen und grösseren Flüssen. Teilweise stieg der Grundwasserspiegel so stark an, dass er Gebäudekeller flutete. Schutz vor Überschwemmung aufgrund von Starkniederschlag, Bächen, Flüssen, Seen, Oberflächenwasser und Grundwasser kann durch bauliche und organisatorische Massnahmen gewährleistet werden. Das Wasser kann vom gewünschten Perimeter abgeleitet und dadurch das Objekt abgeschirmt werden. Mittels Abdichtung der Gebäudehülle (Klappschotts, Hochwasserschutztüren und -fenster) kann verhindert werden, dass Wasser von aussen in das Gebäude eintritt. Durch Bauen mit einer erhöhten Anordnung können kritische Infrastrukturen bis zu einem gewissen Wasserstand geschützt werden. Zudem kann durch nasse Vorsorge mit einem wasserunempfindlichen Innenausbau das Schadenpotenzial von Hochwasser verringert werden.
Hagel
Im Zusammenhang mit häufigeren starken Gewitterzellen ist vermehrt mit Hagel zu rechnen. Etwa ein Drittel der durch Naturereignisse verursachten Gebäudeschäden ist auf den Hagel zurückzuführen. Dem Hagel exponiert sind neben Dächern auch Fassaden, Fenster und Storen. Ein Hagelgewitter kann den Fassadenverputz durchschlagen und das darunterliegende Wärmeverbundsystem beschädigen. Lichtkuppeln aus Kunststoff können aufgrund der Sonneneinstrahlung brüchig werden. Eine leichte Angriffsfläche für den Hagel. Der bisherige Rekord an Gebäudeschäden durch Hagel in der Schweiz lag bei 260 Millionen Franken im Jahr 2009. Die Hochrechnung der Hagelschäden an Gebäuden für das Jahr 2021 liegt bei über 700 Millionen Franken. Bei der Einwirkung durch Hagel konnte durch das Hagelregister (ähnlich dem Brandschutzregister, vgl. www.hagelregister.ch) eine wichtige Planungsgrundlage geschaffen werden. Sie dient dem Bauherrn und dem Fassadenplaner als Planungshilfe für hagelwiderstandsfähige Materialien und Systeme.
Trockenheit
Bei den klimatischen Gefahren wie Trockenheit, Wald- und Flurbrand und Hitzewellen werden allgemein ganz neue Dimensionen der Gefährdung erwartet. Solche Einwirkungen wurden bislang in Mittel- und Nordeuropa kaum im Rahmen von Risikoanalysen für Unternehmensstandorte einbezogen respektive das resultierende Risiko war allgemein gering bis vernachlässigbar. Damit kann für die mittlere Planungszukunft nicht mehr gerechnet werden. Insbesondere das Dargebot von Flusswasser im Sommerhalbjahr zu Kühlzwecken wird kaum mehr zur Verfügung stehen. Wasserintensive Produktionen müssen sich Standorte mit trockenheitsresistentem Wasserdargebot suchen.
Fazit
Eine Betriebsstörung durch ein Naturrisiko kann Monate dauern. Die systematische Analyse von aktuellen und durch den Klimawandel zu erwartenden intensivierten Gefahren am Betriebsstandort ist demzufolge eine unverzichtbare Grundlage. Die darauf basierende Risikoermittlung und -bewertung zeigt die Handlungsnotwendigkeit auf und ist somit eine effiziente Methodik, um die finanziellen Mittel für Schutzmassnahmen gezielt einzusetzen. So lassen sich resiliente Bauten und wirksame Schutzkonzepte risikobasiert umsetzen.