Nationaler Gesundheitsbericht 2025: Psychische Gesundheit ist gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Die Mehrheit der Bevölkerung in der Schweiz ist psychisch gesund. Gleichzeitig sind psychische Erkrankungen weit verbreitet, belasten Betroffene und Angehörige und verursachen hohe Kosten. Komorbidität ist häufig, sei es innerhalb der psychischen Krankheitsbilder oder in Kombination mit körperlichen Beschwerden. Der soziale oder arbeitsbezogene Kontext, die Gesundheitskompetenz, digitale Medien, die Umwelt oder das Gesundheitssystem spielen für die Psyche eine wichtige Rolle. Der Nationale Gesundheitsbericht 2025 des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums (Obsan) gibt einen umfassenden Überblick über wissenschaftliche Literatur und macht konkrete Empfehlungen.

2022 gaben über 90 Prozent der Bevölkerung an, eine gute Lebensqualität zu haben, 70 Prozent fühlen sich glücklich. Parallel dazu sind psychische Erkrankungen häufig: Jede zweite Person ist im Laufe ihres Lebens selbst betroffen. Die psychische Belastung der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat zugenommen – dies wird auch international beobachtet. Diese negative Entwicklung zeichnete sich bereits Jahre vor der Covid-19- Pandemie ab.
Die Rate der nicht-assistierten Suizide ist seit Jahrzehnten rückläufig, sie bleibt bei den über 75- jährigen Männern am höchsten. Seit 2023 liegen weniger Angaben zum psychischen Gesundheitszustand vor. Aktuelle Daten zu psychischen Erkrankungen oder zur psychischen Gesundheit von Kindern unter 10 Jahren fehlen gänzlich.
Soziale Ungleichheit und Umweltfaktoren als Einflussgrössen
Psychische Gesundheit ist eng mit sozialen Lebensbedingungen verknüpft: Ein niedrigeres Haushaltseinkommen, ein geringerer Bildungsgrad, Einsamkeit, Gewalterfahrungen oder belastende Kindheitserlebnisse erhöhen das Risiko für psychische Beschwerden. Gleichzeitig können psychische Erkrankungen ihrerseits zu Armut führen und die gesellschaftliche Teilhabe einschränken. Obwohl sozial schlechter gestellte Gruppen häufiger von psychischen Beschwerden betroffen sind, nehmen sie in der Schweiz nicht häufiger Behandlungen in Anspruch als sozial besser gestellte.
Digitale Medien erleichtern soziale Kontakte, Informationszugang und bieten Chancen in der telemedizinischen Versorgung. Gleichzeitig bergen sie Risiken wie Cybermobbing, Schlafstörungen oder negative Einflüsse auf Selbstwertgefühl und Körperbild. Entscheidend ist weniger die Nutzungsdauer als Art und Inhalt der Nutzung digitaler Medien. Dies wurde wenig untersucht. Auch Umweltfaktoren wie Lärm wirken sich messbar auf das psychische Befinden aus. Chancen für die Schweiz ergeben sich durch die gut zugänglichen Grünräume oder durch bewegungsfreundliche Wohnumfelder.
Anstrengungen sind nötig, um einen Stellenverlust zu verhindern
Erwerbstätige in der Schweiz sind mehrheitlich mit ihrer Arbeit zufrieden, doch ein Viertel bis ein Drittel berichten von Stress oder Erschöpfung. Etwa 20% der Erwerbstätigen haben eine psychische Problematik, die sich negativ auf den Arbeitskontext auswirkt. In solchen Fällen kommt es zu selten zu einem Austausch zwischen Behandelnden, Arbeitgebenden und Mitarbeitenden. Krankschreibungen aus psychischen Gründen sind meist Vollzeit und dauern im Schnitt 7 Monate. In der Hälfte solcher Krankschreibungen wird das Arbeitsverhältnis aufgelöst. Eine mehr rehabilitativ orientierte Krankschreibungspraxis könnte den Arbeitsplatzerhalt fördern. Bei jungen Erwachsenen nehmen IV-Renten aufgrund psychischer Diagnosen seit Jahren zu, die Gründe für diese Entwicklung sind unklar.
Gesundheitsförderung und Prävention: Breites Engagement, wenig Überblick
Zahlreiche Akteure wie Bund, Kantone, Gemeinden, Hochschulen, Stiftungen, Gesundheitsförderung Schweiz und NGOs tragen zu den vielen Aktivitäten zur Förderung der psychischen Gesundheit bei. Evaluierte und verbreitete Projekte («Beispiele guter Praxis») konnten ihre Reichweite über die letzten Jahre vergrössern. Sie zeigen gute Ergebnisse bei den jeweiligen Zielgruppen in Bezug auf die Stärkung verschiedener Ressourcen (z.B. Wissenszuwachs). Eine systematische Übersicht über alle Massnahmen sowie Informationen zu deren Wirksamkeit fehlen jedoch. Eine weitere Herausforderung ist die nachhaltige Finanzierung der Massnahmen.
Erhöhte Inanspruchnahme und Kapazitätsengpässe in der Versorgung
Die psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung ist in der Schweiz gut erreichbar, aber regional ungleich verteilt. Die Dichte an niedergelassenen Psychiaterinnen und Psychiatern sowie Psychologinnen und Psychologen ist in urbanen Zentren um ein Vielfaches höher als in ländlichen Gebieten. Die Inanspruchnahme psychiatrischpsychotherapeutischer Leistungen ist in den letzten zehn Jahren kontinuierlich gestiegen – sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich. Besonders die Kinder- und Jugendpsychiatrie leidet gemäss Fachpersonen unter Kapazitätsengpässen. Die bevorstehende Pensionierungswelle und die wachsende Nachfrage verschärfen den Fachkräftemangel. Diese Entwicklungen legen eine Diskussion über personelle Ressourcen und die Attraktivität medizinischer und nicht-medizinischer Berufe in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung nahe. Wo besteht der grösste Fachkräftebedarf, sollen schwere Fälle ambulant priorisiert, die ärztliche Ausbildung gestärkt und nichtmedizinische Fachkräfte sowie Peers besser eingebunden werden?
Handlungsempfehlungen für Gesellschaft, Politik und Praxis
Der Bericht formuliert 39 spezifische Empfehlungen. Diese gliedern sich in fünf zentrale Handlungsbereiche: Psychische Gesundheit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstehen, Evidenzbasierung durch gezielte Datenerhebung und Förderung wissenschaftlicher Studien stärken, Präventions- und Gesundheitsförderungsmassnahmen durchführen und evaluieren, psychische Gesundheit am Arbeitsplatz fördern und Arbeitsmarktintegration sicherstellen sowie bedarfsgerechte, zugängliche und qualitativ hochwertige Versorgung sicherstellen.
Der Nationale Gesundheitsbericht 2025 «Psychische Gesundheit in der Schweiz: Entwicklung, Förderung, Prävention und Versorgung» wird vom Schweizerischen Gesundheitsobservatorium (Obsan) im Auftrag des Dialogs der Nationalen Gesundheitspolitik, der ständigen Plattform von Bund und Kantonen, herausgegeben. Der Bericht umfasst zwölf thematische Kapitel, in denen die Autorinnen und Autoren – abhängig von den jeweiligen Fragestellungen – nationale wie internationale wissenschaftliche Literatur und Datenquellen recherchiert, analysiert und zusammengefasst haben. Der Bericht wird kostenlos unter www.gesundheitsbericht2025.ch als Web-Publikation und als PDF angeboten. Die elektronischen Versionen liegen deutsch und französisch vor, sie werden durch eine italienische Kurzversion ergänzt. Der Bericht (468 Seiten, 66.20 Franken) kann auf der Webseite des Obsan bestellt werden.
www.gesundheitsbericht2025.ch