Neuralgische Unfallherde entschärfen
Das Velo, ob mit oder ohne Elektromotor, boomt – parallel dazu leider auch die Unfallzahlen. «Mehr Schwerverletzte und Tote bei den Zweiradfahrern», lautet das aktuelle Fazit. Die Stadt Zürich mit ihren vielen Bikern setzt Akzente, die das Radeln sicherer machen sollen.
Einmal mehr musste die Sanität von Schutz & Rettung Zürich sowie ein Notarzt ausrücken: «Gemäss bisherigen Erkenntnissen war ein 56-jähriger Mann kurz vor 06.30 Uhr mit seinem Elektro-Bike unterwegs. Aus noch unbekannten Gründen kam er auf Höhe der Liegenschaft Pfingstweidstrasse 31 in der Stadt Zürich zu Fall, zog sich dabei schwere Kopfverletzungen zu und blieb bewusstlos liegen.» Solche Polizeimeldungen von verunfallten Velofahrern sind leider keine Seltenheit und sie nehmen laut Prognosen weiter zu. Denn das Fortbewegungsmittel auf zwei Rädern liegt im Trend.
Geändertes Mobilitätsverhalten führt zu mehr Unfällen
Ein Blick auf die kürzlich veröffentlichte Verkehrsunfallstatistik 2018 im Kanton Zürich weist insgesamt eine Abnahme gegenüber 2017 aus. Doch das Bild trügt: Im Fünfjahresdurchschnitt sind im letzten Jahr auf dem Kantonsgebiet mehr Schwerverletzte sowie Getötete zu beklagen. Verstarben 2016/17 im Strassenverkehr 22 Menschen im einwohnerstärksten Kanton, schnellte die Zahl 2018 auf 33 tödlich Verunglückte hoch. Diese unerfreuliche Entwicklung erklärt die Kantonspolizei Zürich wie folgt: Die lang anhaltende Schönwetterperiode des letzten Jahres hat den Zweiradverkauf angekurbelt und die Saison verlängert. Das führte zu Mehrverkehr mit erhöhtem Unfallrisiko. So weist die Kantonspolizei in ihrer Statistik nach, dass 2018 bereits im April und im Oktober im Dreijahresvergleich überdurchschnittlich viele schwerverletzte Zweiradfahrer daraus resultieren.
Doch das schöne Wetter ist nur ein Grund. Die Kantonspolizei spricht auch von einem geänderten Mobilitätsverhalten. Es sei ein Trend zu beobachten, dass sowohl in der Freizeit als auch auf dem Arbeitsweg vermehrt Zweiräder statt Autos oder der öffentliche Verkehr benutzt würden – mit entsprechenden Unfallzahlen (siehe auch Grafik).
Ein Blick auf die Altersgruppen zeigt, dass nicht mehr nur 60- bis 64-Jährige stark von schweren Velounfällen betroffen sind. Immer häufiger gehört auch die Altersgruppe ab 45 dazu.
Welche Massnahmen ergreift der Kanton?
Die aktuelle Unfallstatistik ruft nach mehr Verkehrssicherheit. Die Kantonspolizei führt drei Massnahmen ins Feld:
Repressive Massnahmen: Zur Bekämpfung von schweren Unfällen sei es unabdingbar, die polizeiliche Repression weiterhin auf die Hauptunfallursachen wie Ablenkung (Stichwort Handy), Fahrunfähigkeit und Geschwindigkeit zu richten.
Präventive Massnahmen: Hier bestehe weiterhin Handlungsbedarf im Bereich der Altersgruppe Senioren; genannt werden insbesondere E-Bike- und Fussgängerunfälle. Bereits seit 2015 läuft eine entsprechende Kampagne (siehe unter www.weniger-senioren-unfälle.ch). Aufgrund der jüngsten Ergebnisse will man prüfen, ob neu die zweiradfahrende Altersgruppe 40+ verstärkt sensibilisiert werden muss.
Infrastrukturverbesserungen: Die Kantonspolizei will das Unfallgeschehen genau analysieren und Schwachstellen konsequent und frühzeitig mit Verkehrsanordnungen und/oder baulichen Massnahmen entschärfen.
Die Stadt setzt auf «Velo Sicuro»
Besonders in städtischem Gebiet ist das Velo – mit oder ohne Elektroantrieb – beliebt, denn mit dem Zweirad ist man schnell unterwegs. Doch Radler leben gefährlich. Allerdings – rund 60 Prozent aller schweren Zweiradunfälle taxiert die Polizei als selbstverschuldet.
«Mehr als doppelt so viele verunfallte Velofahrer als vor sieben Jahren», heisst es bei der Stadtpolizei Zürich bezüglich der jüngsten Unfallstatistik.
Für die Dienstabteilung Verkehr der Limmatstadt ist klar, dass das Problem unter anderem auch an der mangelhaften Infrastruktur liegt; sie hält nicht Schritt mit dem Veloboom. Wernher Brucks, Leiter der städtischen Verkehrssicherheit, weist in diesem Zusammenhang auf die strategischen Veloschwerpunkte der Stadt hin. Das Projekt heisst «Velo Sicuro» und sieht verschiedene Optimierungen vor.
«Sanierung von Velounfallherden», lautet eine erste Massnahme, analog dem «Black Spot Management» des Bundesamtes für Strassen. Häufige Unfallstandorte gilt es zu identifizieren und anschliessend zu sanieren. Verkehrssicher-heitschef Brucks spricht von rund 30 neuralgischen Punkten, die eine Häufung von Zweiradunfällen auf städtischem Gebiet aufweisen. Sie sollen entschärft werden, was meist bauliche Massnahmen erfordert.
Ein weiterer Punkt von «Velo Sicuro» ist die Inspektion: Etwa 30 signalisierte Velorouten führen heute durch das Stadtgebiet. Diese sind jedoch punkto Sicherheit nicht immer optimal und weisen Verbesserungspotenzial auf. Diese Zweiradwege sollen einem Check unterzogen werden und schliesslich, wo nötig, saniert werden. Nachbessern ist das eine, doch von Beginn an auf die Sicherheit zu achten das andere: Strassenbauprojekte sollen deshalb mehr auf ihre Velosicherheit hin überprüft werden.
Leuchttürme fehlen noch
Leuchtturmprojekte wie auch Sofortmassnahmen gehören ebenso zum städtischen Sicherheitsprojekt für Biker. Letztere wurden bereits umgesetzt. Es sind kleinere bauliche und betriebliche Eingriffe. So haben die Verantwortlichen beispielsweise bei einer Unterführung beim Bahnhof Altstetten Markierungen angebracht (siehe Foto oben), weil dem einen oder anderen Biker die Wand zum Verhängnis wurde.
Die angekündigten Leuchttürme sucht man in der (Velo-)Stadt Zürich vergebens – sie existieren bis heute nur auf Papier. Man stehe mit dem Projekt erst am Anfang, heisst es seitens des Mediensprechers der Dienstabteilung Verkehr. Um als Leuchtturmprojekt zu gelten, müsse es sich um ein neuartiges oder einen aussergewöhnlichen Problemlösungsansatz handeln. Zürichs Velofahrer warten gespannt, bis die ersten realisiert werden. Hoffentlich nicht mehr allzu lange, denn Leuchtturmprojekte sind Vorbilder – gerade auch für andere Städte und Gemeinden.