Offline-Standard: Bedürfnisse sind geweckt

Zwei Jahre nach Installation der ersten Badge-Leser im Rahmen diverser Projekte kann ein Fazit über die Praxistauglichkeit des herstellerneutralen Standards für Offline-Zutrittssysteme gezogen werden. Eine solide Basis ist gelegt, der Standard funktioniert. Es gibt jedoch noch Luft nach oben.

Foto: Fabian Lange

Bei Vergrösserungen und Aktualisierungen von elektronischen Zutrittskontrollsystemen tritt nahezu immer dasselbe Problem zutage: Produkte verschiedener Hersteller können nicht miteinander kombiniert werden und neue Produkte sind nicht mit bereits vorhandenen «alten» Produkten kompatibel. Eine Zutrittskontrollsoftware ist grundsätzlich proprietär, das heisst, sie basiert auf herstellerspezifischen Standards und Vergabe von Zutrittsrechten. Die Anbindung der Online-Komponenten ist ebenfalls pro­prietär, wie auch teilweise das Einbinden von mechanischen Schliessanlagen. Somit ist es einem Endanwender nicht möglich, eine echte Ausschreibung für Erweiterungen und Ergänzungen von Zutrittssystemen zu machen. Wer sich einmal an einen Hersteller gebunden hat, schafft sich unweigerlich eine «Single Source Dependency» und macht sich abhängig. Aber warum sollten nur «auf der grünen Wiese» geplante, vollständig neu gebaute elektronische Zutrittssysteme real ausschreibungsfähig sein? Warum können Lösungen verschiedener Anbieter nicht kombiniert werden? Die Lösung heisst: Standardisierung. Mit der Einführung von Standards im Bereich der Zutrittssysteme können Produkte verschiedener Hersteller kombiniert werden. Zudem sind produktneutrale Ausschreibungen für Erweiterungen möglich.

Hier setzt der OSS Standard Offline (OSS-SO) an und liefert eine erste Lösung. Der Ansatz ist es, mit einem Standard für RFID-basierte Offline-Badge-Leser die Lücke zwischen Online-Lesern und den mechanischen Komponenten zu schliessen. Erste Erfahrungen zeigen sogar, dass die Anzahl mechanischer Zylinder reduziert werden kann. Das wird ermöglicht, weil die Offline-Komponenten über ein hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis verfügen. Die Komponenten sind zudem von Batterien gespiesen und greifen direkt auf die Verschlusstechnik (das Einsteckschloss) zu. Dieser Umstand macht aufwendige und teure Verkabelungen sowie eine teure, elektrifizierte Verschlusstechnik überflüssig. Erfahrungen zeigen zudem, dass Batterie-Lebenszeiten bis zwei Jahre keine Seltenheit sind.

Die Funktionsweise

Der Offline-Standard nach OSS funktioniert prinzipiell so, dass das Medium dem Schloss übermittelt, ob es berechtigt ist oder nicht («access on card»). Hierfür werden Speicherkapazität und Programmierbarkeit der heute gängigen RFID-Medien genutzt. Mithilfe eines Online-Update-Lesers (häufig «Updater» genannt) werden die Offline-Zutrittsrechte für eine Site (ein Gebäude, ein Areal oder eine Region) auf das Medium geschrieben. Wird nun das RFID-Medium dem richtigen Offline-Leser präsentiert, sagt das Medium dem Leser, dass Zutritt besteht.

Darüber hinaus können Blacklist-Einträge via Medium an die Offline-Leser verteilt werden. Im Gegenzug können Teile des Zutrittsprotokolls und der Batteriestatus des Lesers über die Medien der Nutzer vom Offline-Leser an den Updater zurück geliefert werden. Werden die Zutrittsrechte nun noch zeitlich befristet (Validierung) ausgegeben, so ist gewährleistet, dass das Medium regelmässig an den Updater kommt. Dies garantiert eine hohe Aktualität aller relevanten Informationen und Daten des Zutrittssystems. So können Sicherheit und Komfort nahezu auf dasselbe Niveau angehoben werden wie bei einem Online-System, jedoch zu deutlich geringeren Kosten. Weitere Informationen zur Funktionsweise sind auf der Homepage des Vereins OSS zu finden (siehe unter der Web-Adresse www.oss-association.com).

Vorteile des Offline-Standards

Der Offline-Standard verfügt über diverse Vorteile gegenüber Online- oder pro­prietären Offline-Systemen:

  1. Die Zutrittsrechte sind auf dem Medium gespeichert. Ein aufwendiges Programmieren der Komponenten vor Ort entfällt also.
  2. Der flexible Standard eröffnet dem Endanwender Möglichkeiten im Zutrittsmanagement, die mit den meisten proprietären Systemen konkurrieren können.
  3. Das Medium ist in der Lage, gewisse Informationen vom Offline-Leser an den vernetzten Updater zu transportieren. Somit entfällt das Auslesen der Komponenten vor Ort oder eine teure Verkabelung der Komponenten.
  4. Die Produkte, die den Offline-Standard unterstützen, sind vergleichsweise günstig. Die Beschaffungskosten sinken durch Standardisierung.
  5. Den Herstellern wird eine Blaupause über Funktionsweise, Verschlüsselung und die Datenstruktur zur Verfügung gestellt. Damit haben die Hersteller weniger Aufwand in der Softwareentwicklung. Dadurch und durch den Wettbewerb in der Ausschreibung werden die Produkte für die Kunden ebenfalls günstiger.
  6. Der Offline-Standard ist eine echte Alternative zu proprietären Lösungen, da Produkte von verschiedenen Herstellern miteinander kombiniert werden können. Dadurch wird eine leichtere Umsetzung von Migrationsprojekten mit all ihren Ausprägungen ermöglicht.

Erste Erfahrungen in der Praxis

Erste Erfahrungen mit dem Offline-Standard nach OSS sind grundsätzlich positiv ausgefallen. Airbus hat am Standort Hamburg bereits rund 2000 Digitalzylinder installiert. Die Kundenakzeptanz ist sehr hoch, obwohl der regelmässige Besuch des Updaters einen Kulturwandel bedeutete. Zudem mussten die Nutzer in der Anwendung der Digitalzylinder geschult werden. Es war nicht allen intuitiv klar, dass nach dem Auslesen der RFID-Karte am Leser des Zylinders noch eine manuelle Drehbewegung nötig ist, um die Tür zu öffnen oder zu schliessen. Die Vorteile der einfachen Vergabe von Zutrittsrechten, die geringen Unterhaltskosten und der innovative Ansatz an sich werden von den Nutzern aber derart hoch geschätzt, dass aktuell über ein Rollout in ganz Europa nachgedacht wird.

Die Schweizerischen Bundesbahnen befinden sich momentan in der Pilotphase und arbeiten mit Beschlagslesern anstelle von Digitalzylindern. Es zeigt sich hier, dass der Initialaufwand bei einzelnen Herstellern sehr hoch ist und dass die Funktionsweisen der dafür benötigten Verwaltungsapplikationen immer noch proprietär geprägt sind. Dafür entfällt die Instruktion der Nutzer, da sie die Funktionsweise der Beschlagsleser bereits kennen. Auch hier überzeugen die tiefen Unterhaltskosten und das einfache Verteilen von geänderten Zutrittsrechten. Aktuell werden die über 60 000 aktiven RFID-Medien mit dem OSS-Segment versehen. Ab 2020 ist der phasenweise durchgeführte Rollout von rund 3500 Offline-Lesern geplant.

Diverse Unternehmen im deutschsprachigen Raum testen, schreiben aus, pilotieren oder beginnen aktuell mit dem Rollout von Komponenten. Die jeweils verantwortlichen Personen tauschen sich untereinander aus, profitieren gegenseitig von Erfahrungen und unterstützen sich gegenseitig.

Fazit

Generell kann die aktuell verfügbare Version 1.1 des Offline-Standards nach OSS als marktfähig bezeichnet werden. Natürlich sind die Hersteller nach wie vor eher bestrebt, ihren proprietären Standard beim Kunden zu positionieren. Die Priorisierung macht sich momentan in verhältnismässig langen Update-Zyklen bemerkbar. Die Fachhändler sind mit OSS-SO kaum vertraut. Entsprechend schwierig ist es teilweise, Unterstützung zu erhalten, wenn der direkte Draht zum Hersteller fehlt. In ganz wenigen Fällen wurden seitens Hersteller gar abgegebene Versprechungen nicht eingehalten.

Der Grundstein für einen weiteren herstellerneutralen Standard ist gelegt. Nun liegt es an den Endanwendern, OSS-SO-tauglichen Produkten mehr Gewicht im Portfolio der Hersteller zu geben. Je mehr Projekte mit dem Standard OSS-SO ausgeschrieben werden, desto besser wird er verankert. Mit jedem verbauten Leser müssen sich die Fachhändler besser damit auseinandersetzen. Jede Forderung nach Updates und Weiterentwicklungen verdeutlicht das Bedürfnis der Endanwender. Die Bereitschaft zur konstruktiven Zusammenarbeit schafft neue Anreize und gibt dem Standard auch wirtschaftlich Gewicht.

Erste Erfolge konnten mit der Entwicklung von Version 1.0 auf 1.1 innerhalb nur eines Jahres bereits erzielt werden. Projekte, wie diejenigen von Airbus und der SBB, sorgen für Erfahrungen in der Praxis, von denen beide Seiten profitieren. Der Standard ist also auf dem besten Weg, sich wirklich durchzusetzen.

Weitere Informationen zum Thema Zutrittskontrolle erhalten Interessierte in der kürzlich veröffentlichten Sonderausgabe „Zutrittskontrolle“.

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