Psychische Belastungen am Arbeitsplatz erkennen

Mitarbeitende, Führungskräfte und Fachpersonen aus dem Personalwesen müssen bei erkennbaren Symptomen einer psychischen Erkrankung frühzeitig bei einer integrativen Lösungssuche einbezogen werden. Denn ungünstige Arbeitsbedingungen reduzieren die Leistungsfähigkeit.

Arbeitsplatz

Das  psychische Wohlbefinden verändert sich im Laufe des Lebens, ganz oft. Eigentlich jeden Tag. Mal fühlt man sich schlecht, mal ist man niedergeschlagen und energielos – in einer anderen Lebenssituation packt einen das Glücksgefühl und man könnte Berge versetzen. Die psychische Gesundheit wird sowohl beeinflusst durch positives Feedback als auch durch Belastungen und Stress. Zudem haben auch die individuellen Ressourcen, die Resilienzen, welche für die Bewältigung von Krisen zur Verfügung stehen, einen Einfluss. Menschen leiden jedoch stark unter psychischen Belastungssituationen. Im Laufe des Lebens sind bis zu 48 Prozent aller Menschen mindestens einmal von einer psychischen Störung betroffen.

Insbesondere sind dies akute Krisen, schwere Suchtprobleme, starke Ängste mit Vermeidungsverhalten, aber auch impulsives, aggressives Verhalten oder zwanghafte versteckt-aggressive Verhaltensmuster.

Die Folgen akuter psychischer Belastungen am Arbeitsplatz

Psychische Probleme am Arbeitsplatz kommen häufig vor und sind für die betroffenen Menschen belastend. Neuste Untersuchungen haben gezeigt, dass durch die Coronapandemie insbesondere junge Menschen öfters durch psychische Krankheitssymptome belastet sind. Depressionen, Ängste und weitere psychische Beeinträchtigungen nehmen gegenwärtig signifikant zu. Dies hat einen bedeutsamen Einfluss auf die Arbeitswelt. Sind Mitarbeitende oder Führungspersonen in ihrer Psyche beeinträchtigt, hat das Folgen. Die Auswirkungen sind unter Umständen Verstösse gegen die Arbeitsordnung, eklatante Konflikte, akuter Leistungsabfall, Drohungen, zunehmende Krankschreibungen, Trunkenheit am Arbeitsplatz oder akute Instabi­lität. In der Regel bemerken Arbeitgeber, Vorgesetzte und Kollegen die psychischen Schwierigkeiten frühzeitig.

Wer spricht das Thema an?

Diese Probleme anzusprechen, fällt jedoch den meisten Menschen schwer, denn über die psychische Befindlichkeit wird nicht gerne gesprochen. Vor allem am Arbeitsplatz sind solche Gespräche ein Tabuthema. Dieses Vermeidungsverhalten führt bei den Betroffenen und Beteiligten nicht selten zu einer weiteren Verschlechterung der Situation und wird dadurch zu einem Grund für Ärger und Missstimmung im Team. Unter dem Stillschweigen leiden die betroffenen Menschen doppelt: Sie finden im Team keine vertrauten Menschen, mit denen sie sprechen können, zudem gerät durch ihre Besonderheit die Arbeitsleistung in den Fokus.

Es entsteht ein Gefühl von allein gelassen sein, verbunden mit einem hohen Arbeitsdruck: ein schlechter Mix für eine erfolgreiche Krankheitsbewältigung. Absenzen nehmen zu. Die Mitarbeitenden und Vorgesetzten sind überfordert. Psychisch auffälliges Verhalten führt oft zu starken emotionalen Reaktionen und Spaltungen in der Arbeitsumgebung, was die Probleme zusätzlich verstärkt.

Arbeitslosigkeit verstärkt die psychischen Konflikte

Und weil der Ausweg aus diesem Kreislauf nicht gefunden wird, kommt es in der Folge oftmals zu einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Eine Kündigung ist aber für alle Beteiligten, für die betroffene Person und für das Team eine Belastung. Durch die Arbeitslosigkeit verstärken sich die psychischen Belastungen in aller Regel. Ohne Arbeit zu sein, bedeutet gesellschaftlichen Ausschluss mit dramatischen negativen Folgen. Arbeit hat einen stabilisierenden Effekt auf die Psyche. Sie vermittelt Identität, Selbstwert, zwischenmenschlichen Kontakt und Tagesstruktur. Eine Auflösung des Arbeitsvertrages sollte also dringend vermieden werden, da die individuellen Auswirkungen und die gesellschaftlichen Kosten hoch sein werden.

Vertrauen schaffen

Damit Personen mit psychischen Belastungen weiterhin im Arbeitsprozess integriert blieben können, braucht es spezi­fische Vorgehensweisen. Man weiss aus Erfahrung, dass am Arbeitsplatz Informationsdefizite über die Beeinträchtigung bestehen. Meist berichtet die betroffene Person nicht von sich aus darüber. Auch behandelnde Ärzte suchen das Gespräch mit dem Arbeitgeber nicht von sich aus. Die Interessen von der betroffenen Person, vom Arbeitgeber, vom Team und auch vom Arzt sind aufgrund der Rollen unterschiedlich. Diskrepanzen und Dilemmas zeichnen sich bereits in dieser Phase ab. Ängste, Verunsicherungen und Vermutungen beherrschen das Thema.
Durch gut geführte Gespräche, in denen die Schwierigkeiten angesprochen werden, entstehen Verlässlichkeit und Vertrauen für die weiteren Vorgehensschritte. Die Themen anzusprechen ist eine anspruchsvolle Führungsaufgabe und wird leider selten wahrgenommen.

Ein Erstgespräch lässt sich bei einem Jahresgespräch oder einer Mitarbeiterbeurteilung führen. Wichtig dabei ist jedoch, dass das Gespräch konstruktiv und fair geführt wird. In den allermeisten Organisationen sind dies eingespielte Führungsprozesse. Ziele und Erwartungen gilt es jedoch klar zu definieren und zu formulieren und im Anschluss den Handlungsspielraum aufzuzeigen. Wenn möglich, sollte in diesen Gesprächen die Arbeitssicherheit als angestrebtes Ziel vermittelt werden. Dies schafft Vertrauen und kann bereits eine Verbesserung der Situation herbeiführen. Gelingen die Gespräche, entlasten sie sowohl die betroffene Person als auch das Arbeitsumfeld.

Lösungssuche im kleinsten Kreis

Je nach Beeinträchtigung genügen diese Interventionen nicht. Zögern, abwarten und ausweichen ist keine Option. Es zeigt sich, dass sich in aller Regel die Problemlösungsstrategie nur im allerkleinsten Kreis abspielt. Der Einbezug weiterer Akteure ist bei schwerwiegenden Thematiken für eine Lösung jedoch wichtig. Falls sich die Person in ärztlicher Behandlung befindet, kann ein Gespräch zu dritt (z.B. mit der betroffenen Person, dem Arzt bzw. Psychiater und der Führung) organisiert werden. Allerdings ist dafür aufgrund des Datenschutzes die Einwilligung des Patienten erforderlich. Der Austausch kann für alle Akteure aufschlussreich sein und einen positiven Einfluss auf das weitere Vorgehen haben.

IV-Früherfassung
Die IV-Stellen beraten Arbeitgeber in schwierigen Situationen am Arbeitsplatz –
unabhängig von einer IV-Anmeldung des betreffenden Mitarbeiters.

Integrative Massnahmen

Dabei sollte zielgerichtet das Gespräch über die Arbeitsfähigkeit in den Vordergrund gerückt werden. Können Ärzte den Arbeitsplatz und die Arbeitsaufgaben kennenlernen, wird es für sie einfacher, ein integrationsförderndes Arbeitsfähigkeitszeugnis auszustellen und auch die Therapie gezielter auf die Arbeitsintegration auszurichten. Der Arbeitgeber kann erfahren, welche Verhaltensweisen und Gesprächsinhalte zu einem günstigen Krankheitsverlauf beitragen. Weitere Inhalte können sich auf unterstützende Arbeitsplatzanpassungen aufgrund von störenden Beeinflussungen wie Lärm, Umgebungsakti­vität, Lichteinfall usw. beziehen.

Durch eine Anpassung des Arbeitsplatzes und der Arbeitsaufgaben kann in spezifischen Fällen schon viel erreicht werden. In der Schweiz bestehen weitere Unterstützungsangebote, die leider oft nicht oder zu spät genutzt werden. Falls eine Taggeldversicherung vorhanden ist, gibt es ausgebildete Case-Manager, die den Fall betreuen und beigezogen werden können. Psychiater, Vertrauensärzte und Berater von IV-Stellen sind wichtige Anlaufstellen, die unterstützend und inte­grierend wirken. Aus Erfahrung weiss man, dass ein frühzeitiger Einbezug von Fachstellen und Fachpersonen einen äus­serst günstigen Einfluss auf den Krankheitsverlauf hat.

Beginnen Sie also bereits bei den ersten Anzeichen mit einem ersten Gespräch. In aller Regel geht für Arbeitsteams und insbesondere für die Führungspersonen kein Weg an vermittelnden Gesprächs­interventionen vorbei.

Ressourcenorientiertes Eingliederungsprofil Compasso
Das REP ist ein modulares Online-Instrument, welches den Prozess der (Wieder-)Eingliederung resp. des Arbeitsplatzerhalts unterstützt. Es kommt hauptsächlich nach länger andauernder vollständiger Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Unfall oder Krankheit zum Einsatz.

 

Dieser Fachartikel erschien in der gedruckten Ausgabe SAFETY-PLUS 1-2022.

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