Unterstützung für Asbestopfer
Personen, die an einem durch Asbest ausgelösten Tumor leiden, und ihre Angehörigen sollen rasch eine angemessene finanzielle Unterstützung und psychologische Betreuung erhalten.
In der Schweiz erkranken jedes Jahr rund 120 Personen an einem asbestbedingten, bösartigen Tumor im Bauch- und Brustfellbereich (Mesotheliom), weil sie zu einem früheren Zeitpunkt eine krebserregende Menge an Asbestfasern eingeatmet haben. Rund 30 von ihnen erhalten keine Leistungen aus der obligatorischen Unfallversicherung (UVG), weil ihre Erkrankung nicht berufsbedingt ist. Sie sind finanziell meist schlechter gestellt als die UVG-versicherten Personen. Unter der Leitung von Alt Bundesrat Moritz Leuenberger haben Vertreter der Asbestgeschädigten, von ehemals Asbest produzierenden und verarbeitenden Unternehmen, der Gewerkschaften, der Wirtschaft, der Suva und des Bundes am Runden Tisch zunächst die Problemlage geklärt. In den weiteren Arbeiten konnten sich die Beteiligten auf eine Lösung einigen, welche es Personen, die an einem Mesotheliom erkrankt sind, ermöglicht, rasch angemessene finanzielle und psychologische Unterstützung zu erhalten. Dazu soll ein Fonds gegründet werden, aus dem die Geschädigten nach schematischen und einfachen Grundsätzen entgolten werden, damit sie ihre Ansprüche nicht auf juristischem Wege einfordern müssen.
Alle Mesotheliomerkrankten sollen gleich behandelt werden
Anspruchsberechtigt sollen grundsätzlich alle Personen sein, die nach 2006 an einem Mesotheliom erkrankt sind – unabhängig davon, ob es sich um eine anerkannte Berufskrankheit handelt. Die maximale Höhe der finanziellen Unterstützung wie auch die Berechnung des im Einzelfall auszuzahlenden Betrages orientiert sich an den Leistungen, welche die obligatorische Unfallversicherung an jene Patientinnen und Patienten ausrichtet, die an einer anerkannten, asbestbedingten Berufskrankheit leiden. Es sind auch Leistungen für UVG-Versicherte vorgesehen. So soll sichergestellt werden, dass die nicht UVG-versicherten Personen und die UVG-versicherten Patientinnen und Patienten gleich gestellt sind und beiden Gruppen dieselbe Unterstützung gewährt wird.
Die konkrete Summe, welche ein Asbestopfer im Einzelfall aus dem Fonds erhalten würde, soll davon abhängen, in welchem Jahr die Krankheit ausgebrochen ist, ob die betreffende Person bereits Leistungen aus der obligatorischen Unfallversicherung bezogen hat und wie hoch ihr Einkommen vor Ausbruch der Krankheit war. Ebenfalls vorgesehen sind pauschale und einmalige Abgeltungen an die Hinterbliebenen nach dem Tod des Betroffenen. Wer eine Zahlung aus dem Fonds erhält, verzichtet im Gegenzug darauf, zivilrechtliche Forderungen geltend zu machen. Bereits hängige Klagen sollen nach dem Willen des Runden Tisches ebenfalls auf aussergerichtlichem Wege und durch Inanspruchnahme des Fonds erledigt werden.
Aufbau eines „Care-Service“ für die Betroffenen
Bei den Arbeiten am Runden Tisch hat sich gezeigt, dass die Erkrankten heute zwar eine gute medizinische Versorgung, sie und ihre Angehörigen jedoch oft zu wenig psychologische Betreuung erhalten. Deshalb soll, in Zusammenarbeit mit bereits bestehenden Institutionen, ein „Care-Service“ für die Betroffenen aufgebaut werden, dessen Angebote kostenlos und niederschwellig in Anspruch genommen werden können. Der Runde Tisch erarbeitet einen Vorschlag für das weitere Vorgehen und ist mit regionalen Lungenligen im Kontakt, um Pilotprojekte in den verschiedenen Landesteilen zu prüfen.
Ausgehend von den Anspruchskriterien, den vorgeschlagenen Leistungen und unter Berücksichtigung der prognostizierten Neuerkrankungen hat der Runde Tisch die zu erwartenden Kosten abgeschätzt. Die benötigten Mittel für den noch zu gründenden Fonds dürften bei einer Laufzeit bis ins Jahr 2025 rund 100 Millionen Franken betragen. Sollte der Fonds auch nach 2025 beansprucht werden, so müsste eine Nachfolgelösung gefunden werden. Die Zahl der neu erkrankten Personen sollte nach 2025 jedoch gemäss Prognosen sehr viel tiefer liegen als heute und weiter abnehmen. Ein Ausschuss des Runden Tisches wird nun das Gespräch mit Unternehmen und Branchen suchen und mit ihnen die Möglichkeit von freiwilligen Beiträgen an den Fonds thematisieren.
Laufende gesetzgeberische Arbeiten
Asbestgeschädigte Personen und ihre Angehörigen können auf zivilrechtlichem Wege Schadenersatz und Genugtuung von Unternehmen und Personen einfordern, die sie für ihre Erkrankung verantwortlich machen. Allerdings verjähren solche Ansprüche nach geltendem Recht spätestens zehn Jahre nach dem Ende des schädigenden Einflusses und somit meist lange, bevor die Krankheit ausbricht. Im Rahmen der laufenden Revision des Verjährungsrechts soll daher die Verjährungsfrist für Spätschäden – wie sie etwa durch Asbestfasern verursacht werden – nach dem Willen des Bundesrates und des Nationalrates für künftige Fälle auf 30 bzw. 20 Jahre verlängert werden. Nach dem Willen des Ständerates soll die 10-jährige Frist nicht verlängert werden. Allerdings will der Ständerat das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom März 2014, in welchem das schweizerische Verjährungsrecht in einem Asbest-Fall bemängelt wurde, durch eine übergangsrechtliche Sonderregelung zugunsten der Asbestopfer umsetzen. Die Rechtskommission des Nationalrats hat die Bereinigung dieser Differenzen mit Rücksicht auf die Arbeiten des Runden Tisches bis Ende August 2016 sistiert. Nach der Vorstellung des Runden Tisches können die erarbeiteten Eckwerte einen Beitrag dazu leisten, dass das Parlament eine angemessene Lösung für diese Problematik finden kann.
Asbest wurde insbesondere in den 1960er- und 1970er-Jahren des letzten Jahrhunderts in verschiedenen Baumaterialien verarbeitet und sowohl auf dem Bau als auch in der Industrie und in der Technik breit verwendet. Zur Verhütung asbestbedingter Krankheiten galten ab 1971 ein Grenzwert und Schutzvorschriften für Arbeitnehmer, die mit Asbestfasern in Berührung kamen. 1987 wurde Asbest in die Giftklasse 1 aufgenommen, und 1989 trat ein generelles Asbestverbot in Kraft, das seit 1990 die Verwendung asbesthaltiger Erzeugnisse und Gegenstände untersagt. Verschiedene Bundesämter, die kantonalen Fachstellen, die SUVA, die Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaften arbeiten zudem seit Jahren eng zusammen, um die Bevölkerung vor gesundheitsgefährdenden Asbestbelastungen zu warnen und zu schützen.