Verhalten sanft lenken – dank Nudging
Menschen handeln nicht immer so rational, wie wir manchmal denken. Diese Tatsache sollten wir uns auch für unsere Sicherheit und Gesundheit zunutze machen. Nudges stellen konkrete Massnahmen dar, um ein spezifisches Verhalten anzustupsen und zu erleichtern – und das auch über Sprachhürden.
Haben Sie heute bereits eine Strasse überquert und sind dabei über einen Fussgängerstreifen gelaufen? Fussgängerstreifen unterstützen durch einfache visuelle Markierungen ein sichereres Verhalten von Verkehrsteilnehmenden – ein Nudge für mehr Sicherheit im Alltag. «Nudging» – zu Deutsch «Stupsen» – ist ein Begriff, der seit 2008 durch Richard Thaler und Cass Sunstein geprägt wird und stellt einen Ansatz aus der Verhaltensökonomie dar. Ein Nudge beschreibt dabei eine Massnahme, um das Verhalten von Menschen in eine gewünschte Richtung zu lenken, ohne jedoch andere Optionen auszuschliessen.
Neben dem Einsatz von Nudging im Kontext von klassischen Marketingmassnahmen werden Nudges in den Bereichen Umwelt und Nachhaltigkeit, Ernährung und Gesundheit oder auch im Kontext Bildung eingesetzt, um «bessere» Entscheidungen zu unterstützen.
So verschickte beispielsweise die Steuerbehörde von Grossbritannien Mahnbriefe mit der Bemerkung: «Neun von zehn Briten zahlen ihre Steuern pünktlich, und in Ihrer Nachbarschaft haben die meisten schon bezahlt.» Drei Monate später hatten 83 Prozent der Empfänger ihre Steuern gezahlt, während es in der Vergleichsgruppe lediglich 68 Prozent waren. Diese Formulierung zielt auf den Drang hin, soziale Normen zu befolgen und nicht aus der «Herde» hervorzustechen.
In jüngster Vergangenheit wird der Einsatz von Nudging auch im Kontext der strategischen Risikokommunikation, spezifisch im Rahmen von Präventionsbemühungen in der Arbeitssicherheit, intensiver diskutiert. Verhaltensbasierte Ansätze sind zwar nicht neu in der Prävention, fokussieren allerdings – im Gegensatz zu Nudgingansätzen – vorwiegend auf das überlegte Handeln und Verhalten, welches über klassische Risikokommunikation beeinflusst werden kann (beispielsweise sachliche Instruktionen, Broschüren mit Verhaltensregeln usw.).
Nudges zielen auf das schnelle, automatisierte Handeln ab, sie funktionieren also besonders gut bei eher intuitivem, durch Gewohnheiten geprägtem Verhalten oder bei Verhalten, über welches wir nicht intensiv nachdenken und explizit Vor- und Nachteile abwägen. Nudges funktionieren deshalb, weil Menschen nicht immer eigenständig rationale Entscheidungen treffen. Situative Faktoren wie Zeitdruck, Unwissen, Emotionen usw. sowie Gewohnheiten beeinflussen unsere alltäglichen Entscheidungen.
Potenzial Nudging in der Prävention
Bereits heute werden Nudges im Rahmen der Arbeitssicherheit und im Gesundheitsschutz eingesetzt. Zum Beispiel durch Aufkleber mit Fussabdrücken am Boden, die die Mitarbeitenden in der Lagerhalle auf den Verkehrsweg für Personen lenken oder aber durch emotionale Hinweise auf vergangene Unfälle im Kontext der Unfallverhütung. Auch konnten Lunt und Staves (2014) aufzeigen, dass visuelle Hinweise über Farbkodierungen (beispielsweise von Rohrsystemen) einen vielversprechenden Ansatz darstellen, um Aufmerksamkeit und Sicherheitspraktiken zu verbessern. Solche Nudges sollen Menschen dazu anregen, sich sicher und gesund zu verhalten.
Es gibt verschiedene verhaltensbeeinflussende Effekte und Faustregeln, die beim Nudging angewendet werden, um das Verhalten in eine bestimmte Richtung zu lenken. Beispielsweise funktioniert das oben erwähnte Prinzip des Herdenverhaltens nicht nur für die Steuerbehörde, sondern kann auch in der Arbeitssicherheit und im Gesundheitsschutz genutzt werden. Ein Schild, das darauf hinweist, dass sich 80 Prozent der Mitarbeitenden des Betriebs im Freien vor der Sonne schützen, zeigt eine soziale Norm auf.
Das kann die restlichen 20 Prozent dazu animieren, es ihren Teammitgliedern gleichzutun. In gewissen Fällen sind auch optische Täuschungen behilflich, um eine Gefahr hervorzuheben: Sind die Bodenmarkierungen vor Kurven oder Kreuzungen optisch enger gestaltet, nehmen wir die Geschwindigkeit, mit der wir unterwegs sind, als erhöht wahr und bremsen automatisch ab. Der Vorteil eines solchen Nudges ist, dass er auch sprachunabhängig funktioniert. Auch visuelle Feedbacks zu einem spezifischen Verhalten, beispielsweise in Form von lachenden oder weinenden Smileys, sind bewährte Nudges, um ein gewünschtes Verhalten zu unterstützen. Viele weitere Beispiele belegen den Erfolg solcher Ansätze. Für den konkreten Einsatz im Arbeitsumfeld gilt es aber einige wesentliche Aspekte zu beachten.
Grundsätzlich funktioniert Nudging am besten, wenn das gewünschte Verhalten mit wenig Aufwand erreicht werden kann – sowohl kognitiv als auch zum Beispiel bezüglich zeitlicher Ressourcen. Das heisst, je weniger über das Ausführen eines (sicheren) Verhaltens nachgedacht werden muss, desto empfänglicher sind Menschen für solche «Stupser». Dies hängt auch damit zusammen, dass im Arbeitskontext oft Leistungs- und Zeitdruck bestehen. Es lohnt sich also, ein erwünschtes Verhalten so einfach wie möglich zu gestalten:
Ist die persönliche Schutzausrüstung da vorhanden, wo die Mitarbeitenden sie brauchen und wo sie sowieso vorbeikommen? Oder müssen sie den Aufwand betreiben und sie extra holen gehen? Wenn die Schutzausrüstung gut sichtbar positioniert ist, wirkt sie zudem selbst als Erinnerung daran, sie auch zu verwenden. Auch hat sich gezeigt, dass Kombinationen von Nudges (beispielsweise eine einfache Info-Visualisierung und Feedback) je nach Kontext besonders wirksam sind.
Kontext und transparente Kommunikation sind wichtig
Eine wichtige Erkenntnis ist, dass die Akzeptanz und Wirksamkeit sehr stark vom Kontext abhängen. Dies verdeutlicht die Relevanz der situationsspezifischen Gestaltung von Nudges. Einerseits erlauben unterschiedliche Bedingungen schlichtweg unterschiedliche Methoden (beispielsweise fixe vs. variable Arbeitsplätze, Sprache der Mitarbeitenden, Arbeitsroutinen, Einzelarbeiten vs. Teamarbeiten usw.). Andererseits weisen bisherige Erkenntnisse darauf hin, dass Nudges wirkungsvoller sind, je stärker sich genudgte Personen mit dem Nudge identifizieren können.
Ein Nudge sollte also, wenn immer möglich und sinnvoll, personalisiert oder zumindest betriebsspezifisch konzipiert werden. Dabei ist zu beachten, dass das Arbeitsumfeld je nach Branche und Betrieb sehr unterschiedlich sein kann. Ein wichtiger Faktor insbesondere im Arbeitskontext stellt das soziale Umfeld dar. Die Wirksamkeit von Nudges hängt hier stark von sozialen Normen und der gelebten Kultur ab. Ob sich eine Person sicher verhält, ist nicht nur für diese Person relevant, sondern meist auch für andere Mitarbeitende – sei es auch «nur» durch ihre Rolle als Vorbild für andere. Für die Entwicklung von Nudges gilt es somit, soziale Normen jeweils betriebsspezifisch zu analysieren und zu berücksichtigen und gegebenenfalls sogar gezielt einzusetzen, beispielsweise in Form von Rollenmodellen.
Um zu vermeiden, dass Nudges nur unterbewusst oder gar als manipulativ wahrgenommen werden, ist eine offene und transparente Kommunikation gegenüber den Mitarbeitenden zentral. Es ist wichtig, dass ein Betrieb aktiv über die Motivation und die Zielsetzung von Nudges kommuniziert und nach Möglichkeit auch Feedbacks dazu einholt, um sowohl das Vertrauen der Mitarbeitenden als auch die Akzeptanz der Massnahme zu fördern.
Nudging im Kontext von Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz ist dabei stets als ergänzender Ansatz zu verstehen. Wir sind gesetzlich dazu verpflichtet, sicher und gesund zu arbeiten und bestimmte Sicherheitsvorkehrungen einzuhalten. Nudges können uns aber dabei unterstützen, dass dieses Verhalten verstärkt intuitiv und mit wenig Aufwand ausgeführt werden kann – und vielleicht bringen sie zusätzlich sogar mehr Humor in den Arbeitsalltag.