«Füsse tragen uns durchs Leben»

Ein Gespräch mit Dr. med. Eva Hautmann über den oft unterschätzten Stellenwert von Fussschutz am Arbeitsplatz

Eva Hautmann ist Fachärztin für Arbeitsmedizin (SGARM) & Ärztliche Leitung ARBEITSMED AG. Foto: zVg

Frau Hautmann, wir sprechen heute über Fussschutz am Arbeitsplatz. Warum sind Füsse eigentlich so wichtig?

Eva Hautmann: Das ist eine sehr gute Frage, weil viele tatsächlich unterschätzen, welche zentrale Rolle unsere Füsse spielen – nicht nur im Alltag, sondern auch in der Arbeitswelt. Unsere Füsse tragen unser Körpergewicht durchs Leben und sind allein schon anatomisch grossen Belastungen ausgesetzt. Alles, was wir tun – stehen, gehen, Lasten tragen – passiert auf den Füssen. Und wenn da etwas nicht stimmt oder verletzt wird, hat das sofort Auswirkungen auf den gesamten Bewegungsapparat.

Sie sagen, Füsse sind schwer zu reparieren – was meinen Sie damit?

Na ja, nehmen wir zum Beispiel einen gebrochenen Zeh oder einen durchbohrten Fuss – das sind Verletzungen, bei denen man nicht einfach sagen kann: «Na gut, dann entlaste ich das mal eine Weile.» Denn der Fuss muss immer das Körpergewicht tragen. Wir können nicht einfach «nicht gehen». Auch kleine Verletzungen werden durch die permanente Belastung schnell zu einem grossen Problem. Und was hinzukommt: Füsse sind exponiert und ausserhalb der Körpermitte. Alles, was im Arbeitsumfeld herunterfällt, fällt nach unten – und trifft in vielen Fällen eben genau die Füsse. Das heisst, sie sind deutlich gefährdeter als andere Körperregionen, die besser geschützt sind.

In welchen Branchen sind Füsse besonders gefährdet?

In sehr vielen. Natürlich denkt man sofort an Bau oder Industrie – da ist das Risiko für mechanische Verletzungen sehr hoch. Aber auch in der Lebensmittelproduktion, in der Pflege, in der Gastronomie, im Aussendienst – überall dort, wo man steht, viel läuft oder mit rutschigen Böden zu tun hat, sind Füsse extrem gefordert. Im OP-Bereich oder im Labor kommen noch Körperflüssigkeiten oder Chemikalien ins Spiel. Dort ist Rutschfestigkeit dann ebenso wichtig wie  Durchtritts- oder Stossschutz

Was müssen Unternehmen also bei der Anschaffung von Sicherheitsschuhen bedenken?

Es gibt drei Aspekte, die zu klären sind. Der erste Aspekt ist der Schutz vor äusseren Einwirkungen: Wenn etwas herunterfällt, muss der Schuh so gebaut sein, dass nichts durchsticht, nichts quetscht, keine heisse Flüssigkeit durchdringt. Also Schutz vor Nägeln, Kanten, heissen oder ätzenden Stoffen – das ist der Klassiker.

Der zweite Aspekt ist die Stabilität und die Ergonomie. Ein Schuh muss den Fuss so gut betten, dass er die Last des Körpers dauerhaft tragen kann. Viele Probleme kommen durch schlechte Dämpfung, fehlende Unterstützung im Längsgewölbe oder zu wenig Platz im Zehenraum. Das kann auf Dauer zu Fehlhaltungen, Schmerzen oder orthopädischen Beschwerden führen.

Und der dritte Aspekt – den darf man wirklich nicht unterschätzen – ist die Rutschfestigkeit. Viele Unfälle passieren durch Ausrutschen auf glatten oder feuchten Böden. Und das ist nicht nur ein Thema im Winter draussen, sondern eben auch in Produktionshallen, Küchen oder Krankenhäusern.

Wie ist es denn in der Praxis – wie gut ist die Qualität von Sicherheitsschuhen in den Unternehmen?

Das ist sehr unterschiedlich. In den meisten Firmen, die ich betreue, ist der Fussschutz zumindest vorhanden – oft aber ohne individuelle Anpassung. Die Unternehmen beschaffen häufig zentral, und es wird eine Auswahl angeboten. In der Schweiz habe ich bisher sehr gute Erfahrungen gemacht – hier ist die Qualität oft schon ziemlich hoch. In Deutschland habe ich öfter erlebt, dass Mitarbeitende über Fussprobleme klagen. Dann schaue ich mir die Schuhe genauer an: Wie sind sie innen verarbeitet? Gibt es Druckstellen? Wie ist das Material? Wie ist die Passform?

Werden Sie regelmässig zurate gezogen?

Nicht automatisch. Als Betriebsärztin komme ich meistens dann ins Spiel, wenn es Beschwerden gibt. Ich kümmere mich in erster Linie um die individuelle Eignung – also wenn jemand orthopädische Besonderheiten hat oder bestehende Probleme durch falsche Schuhe verstärkt werden. Ich komme selten in Unternehmen, die bei null anfangen. Aber wenn ich merke, dass in einer Abteilung besonders viele Leute Fussprobleme haben, dann schaue ich mir das genauer an – und dann kann es schon passieren, dass ich vorschlage, mal über einen Anbieterwechsel nachzudenken oder ein anderes Modell auszuprobieren.

Wie gehen Unternehmen mit solchen Empfehlungen um?

In der Regel sehr offen. Gerade wenn die Beschwerden gehäuft auftreten, ist das für viele ein Anlass, das Thema noch einmal grundlegend zu überdenken. Viele sind dankbar für eine medizinisch fundierte Einschätzung. Und manchmal reicht es ja schon, innerhalb der angebotenen Modelle etwas differenzierter auszuwählen – also etwa mehr Varianten bei der Weite, beim Gewicht oder beim Fussbett anzubieten.

Gibt es eine Art Ideal-Schuh?

(lacht) Nein, den gibt es leider nicht. Der perfekte Schuh ist immer individuell. Es gibt Menschen, die brauchen viel Dämpfung, andere eher Stabilität. Die Fussform spielt eine grosse Rolle – und natürlich auch die Arbeitsumgebung. Aber was man sagen kann: Der Schuh muss passen. Und zwar nicht nur irgendwie, sondern wirklich gut. Das heisst: Er darf keine Druckstellen verursachen, muss rutschfest sein, das richtige Gewicht haben – und sich am besten auch angenehm tragen lassen, über mehrere Stunden hinweg. Und ganz wichtig: Sicherheit darf nicht auf Kosten des Komforts gehen. Sonst werden Schuhe nicht getragen – oder nur widerwillig.

In den letzten Jahren hat sich im Bereich Fussschutz ja auch einiges getan. Was halten Sie von Innovationen wie Luftkissen oder Barfussschuhen – also Konzepten, die eher aus dem Freizeitschuhbereich kommen?

Das ist ein spannender Trend, und grundsätzlich finde ich es gut, dass mehr darüber nachgedacht wird, wie man Fussschutz ergonomischer und angenehmer gestalten kann. Luftkissen oder dynamisch gedämpfte Sohlen können dabei tatsächlich einen echten Mehrwert bieten – gerade für Menschen, die viele Stunden stehen oder laufen müssen. Sie helfen, die Belastung gleichmässiger zu verteilen und Gelenke zu entlasten. Barfussschuhe sind da ein bisschen spezieller. Das Konzept dahinter – den Fuss möglichst natürlich arbeiten zu lassen – ist reizvoll, aber nicht für alle Berufsbereiche geeignet. In sicherheitsrelevanten Umgebungen muss man Kompromisse machen: Ein Barfussgefühl und gleichzeitig Zehenschutzkappe und Durchtritthemmung? Das ist technisch möglich, aber noch nicht flächendeckend etabliert. Ich sehe da viel Potenzial – aber die Herausforderung ist, Innovation mit den rechtlichen Vorgaben und dem tatsächlichen Schutzbedarf in Einklang zu bringen. Da tut sich gerade einiges, und das ist auch gut so.

Und was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?

Mehr Bewusstsein für die Bedeutung der Füsse – gerade im Arbeitsschutz. Sie sind das Fundament unserer Gesundheit, und trotzdem werden sie oft vernachlässigt. Ich würde mir wünschen, dass Fussschutz genauso ernst genommen wird wie das Thema Rücken. Und dass die Auswahl von Sicherheitsschuhen nicht nur eine Beschaffungssache ist, sondern integraler Teil der arbeitsmedizinischen Vorsorge.

Dieses Interview erscheint in der Ausgabe 3 von save. Here können Sie Ihr Exemplar bestellen.

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