Sichere Städte bei ­Megaevents

Grossveranstaltungen ziehen nicht nur feiernde Menschenmassen an, sondern leider auch Extremisten, die gezielt «weiche Ziele» attackieren. Der Einsatz von Fahrzeugen als Terrorwaffe stellt dabei eine besonders perfide Bedrohung dar – schnell, effektiv und mit verheerenden Folgen. Doch es gibt Lösungen: Moderne Zufahrtsschutzbarrieren, intelligent geplant und fachgerecht umgesetzt, bieten wirksamen Schutz, ohne den urbanen Raum zu beeinträchtigen.

Leitungsfähige Kombination innovativer Multibeete und Poller © zVg

Wenn fast täglich mehr als 300.000 Menschen dicht gedrängt und klar nach Herkunftsländern geordnet an vordefinierten Orten zusammenkommen, um ausgelassen zu feiern, dann ist das leider nicht immer nur eine Riesenparty, sondern oft auch eine einmalig verlockende Gelegenheit, für Extremisten aller Art, «weiche Ziele» zu treffen. Terrororganisationen aus aller Welt begrüssen solche Gelegenheiten ausdrücklich (siehe auch «To the stadiums», Islamic State, April 2024), können sie doch hier in bewährter Nizza- und Breitscheidplatz-Manier ohne nennenswerten Aufwand und Entdeckungsrisiko Fahrzeuge in einzelnen oder mehreren Angriffswellen durch dichte Menschenmengen pflügen lassen. Dies würde nicht nur zu hohen Opferzahlen führen, sondern den Extremisten auch eine unbezahlbare Medienpräsenz verschaffen.

Aber nicht nur die Innenstädte und Public Viewing Areale sind für Extremisten hochattraktive Anschlagsziele, sondern insbesondere auch die Zuschauermassen im direkten Umfeld vor den Fussballstadien.

Die Bedrohung durch Überfahrtaten

Der Grund für die seit Jahren überproportional ansteigende Zahl an Überfahrtaten (RAND, 2022) ist so trivial wie pragmatisch: «Nutzfahrzeuge sind die effizienteste Terrorwaffe» (Islamic State, 2016).

Denn der Einsatz von Fahrzeugen als Terrorwaffen ist auch in der Schweiz gegenüber allen anderen tödlichen Anschlagswaffen deutlich im Vorteil und bedient sich dabei einer bekannten Guerillataktik (Gaynor, B. 2002): dem sogenannten «Präventionsparadox» (Rose, G. 1985).

Die Maxime für dieses terroristische Handeln lautet schlicht und einfach: «Asymmetrische Risiko – Ressourcen – Nutzen Ratio» zum Vorteil der Terroristen.

Kurz, der Einsatz von Fahrzeugen als Waffen ist billig (Ressourcen), einfach (Ressourcen) und effektiv (Nutzen). Überfahrtaten benötigen weder aufwendige Anschlagsplanung (Entdeckungsrisiko) noch hohe Ausführungskompetenz (Ressourcen), um medienwirksam eine grosse Zahl von Menschen schwer zu verletzen oder gar zu töten (Nutzen).

Dem gegenüber werden wirklich wirksame Schutzmassnahmen durch das Präventionsparadox zugunsten der Extremisten behindert. Denn nachweislich wirksame Schutzmassnahmen sind nun einmal nicht trivial zu planen und umzusetzen. Im Gegenteil: Sie erfordern ein Höchstmass an rarer Anwendungskompetenz (Ressourcen), den Einsatz durchdachter organisatorischer Mittel und leistungsfähiger Zufahrtsschutzbarrieren (Kosten). Zudem muss der offizielle «Nutzen» jeder Schutzbemühung angesichts knapper Präventionsbudgets und einer weitverbreiteten Katastrophen-Demenz erst in aufwendiger Überzeugungsarbeit (Kosten, Ressourcen) argumentiert und durchgesetzt werden.

Positive Entwicklungen im ­Zufahrtsschutz

Umso erfreulicher ist, dass die gute Nachricht dennoch lautet: Die meisten der untersuchten Städte, Stadien und Public-Viewing-Veranstaltungen haben sich in den letzten Jahren im Hinblick auf den Zufahrtsschutz sehr positiv entwickelt! Ein Grund dafür könnte die unermüdliche Aufklärungsarbeit sein, die nach den Terroranschlägen von Nizza, Berlin (2016) und Barcelona (2017) begonnen hat und die nun Früchte trägt – auch wenn noch viel Luft nach oben ist.

Zum Glück für die Menschen in den Schutzzonen werden unterdessen die bisher sehr beliebten, aber lebensgefährlichen Betonklötze endlich mehr und mehr durch ISO-geprüfte Zufahrtsschutzbarrieren verdrängt. Doch leider kann auch heute, acht Jahre nach den Anschlägen von Nizza und dem Breitscheidplatz, von hoher Anwendungskompetenz und adäquat leistungsfähigen Sperren und noch immer keine Rede sein.

Hauptherausforderung ist die professionelle Planung und Umsetzung von Massnahmen

Warum, so fragt man sich, wurde vielerorts noch immer Zufahrtsschutz fälschlicherweise als eine Art Veranstaltungstechnik angepriesen? Vielleicht mit dem Ziel, den meist öffentlichen Auftraggebern die wirkungsvollen Regularien des Bauwesens vorzuenthalten?

Warum tummeln sich immer mehr unqualifizierte «Experten» auf dem Markt, die trotz Unkenntnis von Bau, Physik, Zufahrtsschutz und Technik, mit vollmundigen Versprechungen und beeindruckenden Hochglanzbroschüren schnelles Geld verdienen wollen?

Hier entsteht gerade eine höchst gefährliche Gemengelage, die die Auftraggeber dann mit besonderer Vehemenz trifft, wenn sich die Gerichte demnächst mit Mängelrügen oder, schlimmstenfalls sogar, mit Todesopfern zu befassen haben.

Zufahrtsschutz ist zwar keine Raketenwissenschaft, aber eben auch keine triviale Angelegenheit. International wird bereits vorgelebt, dass Zufahrtsschutz kein Produktsortiment ist, sondern ein Fachgebiet innerhalb des Bauwesens (CPNI, 2013, UNOCT, 2022). Kurzum: Ohne einschlägige Erfahrung im Ingenieur- und Spezialtiefbau, gepaart mit einer fundierten Vorbildung in internationalem Zufahrtsschutz und globalen Netzwerken, ist der Schutz vor weltweit agierenden Terrorgruppen absolut nicht zu leisten.

Dies dürfte auch dazu geführt haben, dass diesen Sommer der Einsatz sogenannter mobiler Zufahrtsschutz-Barrieren besonders negativ auffiel. Die Sperren wurden hier oft so unprofessionell eingesetzt, dass sie im Falle eines Angriffs ihre Schutzwirkung gar nicht hätten entfalten können. Denn Zufahrtsschutzbarrieren müssen nicht nur ordentlich zertifiziert werden, sondern vor allem auch für den vorgesehenen Anwendungsfall geeignet sein. Hier sollten also nicht nur die Aufbauer dieser Barrieren noch etwas mehr ihrer Prüf- und Hinweispflicht nachkommen, sondern vielmehr auch die meist unqualifizierten Planer dieser Schutzmassnahmen ihren eigenen Ingenieurshintergrund in Bezug auf Physik, technische Mechanik und den Stand der Technik sehr kritisch hinterfragen.

Qualifikation und Erfahrung sind unerlässlich

Qualität kommt von Qualifikation! Was in anderen Bereichen des täglichen Lebens völlig selbstverständlich ist, scheint sich im Zufahrtsschutz noch nicht überall herumgesprochen zu haben. (Oder gehen Sie in dringenden Gesundheitsfragen in den Werksverkauf der Pharmaindustrie anstatt zu qualifizierten Ärzten und Apothekern?)

Es führt kein Weg daran vorbei: Wer Zufahrtsschutzmassnahmen verantwortungsbewusst planen und umsetzen will, muss über eine ordentliche technische Ausbildung im Fachgebiet Zufahrtsschutz verfügen, fundierte Kenntnisse im Bauwesen und technischer Mechanik besitzen, und sich ständig auf dem internationalen Stand der Technik halten.

Als weltweit einschlägiger Goldstandard gelten die zertifizierten Zufahrtsschutz Fachplaner des «Register of Security Engineers and Specialists» (RSES). Im Interesse der Sicherheit sei den Auftraggebern von Zufahrtsschutzmassnahmen hier wärmstens empfohlen, sich nicht mit weniger zufriedenzugeben.

Gute Beispiele für professionelle Sicherheitsarchitektur finden sich weltweit bei Projekten, in denen neutrale Planer aus dem Ingenieurbau gemeinsam mit zertifizierten Zufahrtsschutz-Fachplanern tätig wurden, um die gewünschten Zufahrtsschutzmassnahmen norm- und richtlinienkonform zu planen, auszuschreiben und auszuführen.

Best Practice: Stuttgarter ­Neckarstadion

Besonders positiv hervorzuheben sind die Zufahrtsschutzmassnahmen der Landeshauptstadt Stuttgart (Deutschland), die das Stuttgarter EM-Stadion nicht nur auf höchstem Niveau gegen Überfahrtaten schützen liess, sondern dies auch sehr wirtschaftlich und auf äusserst innovative Art und Weise erreicht hat.

Mit einer zertifizierten Widerstandsfähigkeit von 7.400kJ bieten die modernsten Zufahrtsschutzbarrieren des Stuttgarter Neckarstadions einen mehr als viermal so hohen Anprallwiderstand wie andernorts (0 – 1.800kJ). Die nachgewiesene Resistenz der Barrieren ist derart belastbar, dass sogar 30 Tonnen schwere Lkw wenig ausrichten könnten, selbst dann nicht, wenn sie ungebremst mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h in die Zufahrtsschutzbarrieren einschlagen würden. Das innovative Projekt- und Planungsteam der Schwaben erreichte dieses hohe Schutzniveau auf bemerkenswert clevere Weise, indem sie nicht nur die neueste Barrierengeneration nutzten, sondern dies auch noch im Einklang mit Nachhaltigkeit, unauffälliger Ästhetik, ÖPNV-, Radfahrer- und Fussgängerfreundlichkeit taten und zusätzlich dabei die Themenkreise CPTED und Vandalismusresistenz beachteten.

Begrünbare Hochleistungsbarrieren finden sich am Neckarstadion ebenso wie einbruchsichere Schaltschränke und kostengünstige Schubbalken. Ausserdem wurde durch das interdisziplinär besetzte Projektteam die Planung des Schutzperimeters rund um das Stadion so vorausschauend angelegt, dass dort auch nach der EM die Besucher der Bundeligaspiele optimal geschützt sind und auch weitere Grossveranstaltungen sowohl im Stadion selbst als auch auf dem weitläufigen Vorfeld des Stadions in vorbildlich gesicherten Schutzzonen stattfinden können.

Fazit mit Zuversicht

Die EM2024 war nicht nur sportlich ein Megaevent, sondern auch ein Stresstest für so manche Schutzarchitektur. Dementsprechend zeigten sich bedauerliche Schwächen, aber auch sehr lobenswerte Stärken. Im Hinblick auf den immer wichtiger werdenden Schutz weicher Ziele vor Überfahrtaten wurde deutlich, dass Zufahrtsschutz eine anspruchsvolle, physikalisch-technische Disziplin des Bauwesens ist und daher am besten von erfahrenen Zufahrtsschutz-Fachplanern und Bauingenieuren gemäss der bewährten Bauprozesse abgewickelt werden sollte. Das Beispiel des Stuttgarter Neckarstadions und viele weitere Beispiele belegen das. Unabhängig davon, ob es sich um temporäre Schutzmassnahmen oder um fest verbaute Massnahmen handelt, Schutz und Qualität entstehen nicht in bunten Hochglanzprospekten, sondern durch die dem Bauwesen innewohnenden Grundlagen, Regelungen und Prozesse.

So gerüstet und mit interdisziplinären, neutralen Projektteams können wir die urbanen Zukunftsherausforderungen und Zufahrtsschutz so clever miteinander verknüpfen, dass daraus weitreichende Synergien entstehen, an die man bisher kaum gedacht hat.

Christian Schneider ist zertifizierter Sachverständiger für Zufahrtsschutz am UNOCT (United Nations Office of Counter-Terrorism), Fachbuch-­Autor und Gastdozent für Zufahrtsschutz an der Verwaltungsakademie Stuttgart. Im Auftrag von Ministerien, Kommunen, Behörden und KRITIS-Betreibern betreut er Zufahrtsschutzprojekte weltweit. inibsp.de

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