Die neue Suva-Checkliste «Galvanotechnik»

Die gesetzeskonforme und sichere Lagerung von Gefahrstoffen ist eine komplexe Fragestellung. Es gilt, Stoffe voneinander zu trennen, die miteinander in gefährlicher Weise reagieren können, unterschiedliche Schutzmassnahmen oder Löschmittel erfordern oder anderweitig inkompatibel sind. Hilfsmittel zur Lagereinteilung sind daher unverzichtbar.

Gefahrstoffe
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Bei grossen Artikelsortimenten, mit Hunderten oder sogar Tausenden Artikeln, wird eine saubere, stoffweise Beurteilung sehr aufwendig. Hilfsmittel und Systeme zur Vereinfachung der Lager­einteilung sind daher unverzichtbar bei der Entwicklung von Lagerkonzepten. Der­artige Hilfsmittel können nicht perfekt sein – zu vielseitig ist die Chemie –, doch sie beschleunigen die Organisation eines Gefahrstofflagers erheblich. Ein etabliertes System zur Gruppierung von Gefahrstoffen für die Lagerung in der Schweiz sind die Lagerklassen gemäss Leitfaden der Kantone. Eng verwandt sind die Trenngebote gemäss der VKF-Brandschutzrichtlinie 26-15 «Gefährliche Stoffe». Ein neues Hilfsmittel wird in der Suva-­Checkliste 67201 «Galvanotechnik» beschrieben, welche im Dezember 2020 veröffentlicht wurde. In dieser Checkliste enthalten ist die Tabelle «Chemische Kompatibilität» – eine 9×9-Matrix, welche die 9 GHS-Piktogramme einander gegenüberstellt und spezifiziert, ob eine Zusammenlagerung von Produkten mit den jeweiligen Piktogrammen möglich, untersagt oder mit zusätzlichen Sicherheitsmassnahmen möglich ist. Das System ist bestechend einfach. Mit den GHS-Piktogrammen als Basis ist es im Lager direkt anwendbar – ein Blick auf die Gefahrstoffetiketten genügt. Doch wie aussagekräftig sind GHS-Piktogramme als Kriterium für die Zusammenlagerung und wie tauglich sind die Zusammenlagerungsregeln?

Klar ist: Die Piktogramme nach GHS wurden nicht als Kompatibilitätsklassen definiert, sondern sie kennzeichnen verschiedenartige physikalische Gefahren, Gesundheitsgefahren und Umweltgefahren. Werden diese Kriterien einander gegenübergestellt, um Lagervorschriften abzuleiten, ergeben sich zwangsläufig Inkonsistenzen. Am deutlichsten zeigt sich das an der «Flamme», dem Piktogramm GHS02. Es kennzeichnet leicht entzündbare Stoffe aller Aggregatzustände (gasförmig, flüssig, fest) sowie selbsterhitzungs- und selbstentzündungsfähige Stoffe, organische Peroxide und Stoffe, die bei Wasserkontakt brennbare Gase bilden. Ausgedrückt in den Lagerklassen (LK) gemäss kantonalem Leitfaden: LK 3, LK 4.1, LK 4.2, LK 4.3, ein Teil der LK 5 sowie ein Teil der LK 2. Ab 100 kg Lagermenge sind Produkte dieser Lagerklassen in der Regel in separaten Brandabschnitten zu lagern.

Chemische Kompatibilitäten gemäss Suva-Checkliste. (Bild: zVg)

Betrachten wir die übrigen Piktogramme, so decken die gewählten Kriterien gemäss Suva-Checkliste zumindest die meisten der klassischen Unverträglichkeiten im Bereich der Galvanotechnik ab: starke Säuren und Laugen, Cyanidsalze, brennbare Flüssigkeiten und starken Oxidationsmittel. Hier erlaubt die Tabelle also eine brauchbare Erstabschätzung.

Ein möglicher Vorteil der Tabelle gemäss Suva im Vergleich zu den Lagerklassen: Ein Produkt kann mehrere gefährliche Eigenschaften aufweisen und mit mehreren GHS-Piktogrammen gekennzeichnet sein, welche bei der Lagerzuordnung alle berücksichtigt werden können. Dies steht im Gegensatz zum System der Lagerklassen, in welchem jedes Produkt einer einzelnen Lagerklasse zugeordnet wird, basierend auf einer Priorisierung der Gefahreneigenschaften. So würden leicht entzündbare Flüssigkeiten, die gleichzeitig stark sauer oder basisch sind, in dieselbe Lagerklasse, LK3, eingeteilt – die Trennung saurer und basischer Produkte kann dann leicht vergessen werden. Ausgehend von den GHS-Piktogrammen, würde die ätzende Wirkung der Produkte anhand von GHS05 erkannt – eine Zusammenlagerung ist nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt.

Gleichzeitig ergeben sich aus dieser Betrachtung sehr schnell Widersprüchlichkeiten. Man betrachte z.B. die Zusammenlagerung der einfachen Alkohole Ethanol und Methanol. Beide gehören zur Lagerklasse 3, leicht entzündbare Flüssigkeiten. Daneben ist Ethanol als augenreizend (GHS07 Ausrufezeichen) gekennzeichnet. Methanol ist giftig und organschädigend (GHS06 & GHS08): einmal Flamme und Ausrufezeichen – einmal Flamme, Totenkopf und gesundheitsschädigend. Aus chemischer Sicht spricht nichts gegen die Zusammenlagerung, die beiden Alkohole reagieren nicht in gefährlicher Weise miteinander. Auch im Brandverhalten sind die Alkohole vergleichbar. Gemäss Suva-Checkliste ist eine Zusammenlagerung von GHS 02 «Flamme» und GHS06 «Totenkopf» jedoch nicht möglich – sodass die Zusammenlagerung von Methanol und Ethanol nicht gestattet wäre. Ein klarer Widerspruch zur Lagerklasseneinteilung und aus chemischer Sicht wenig sinnvoll.

Weitere Auffälligkeiten

Gemäss Suva-Checkliste ist eine Lagerung von explosiven Stoffen (GHS01, explodierende Bombe) zusammen mit Stoffen mit dem GHS-Ausrufezeichen zulässig. Der Lagerleitfaden der Kantone teilt explosionsgefährliche Stoffe in die Lagerklasse 1 ein und behandelt sie nicht weiter – eine Zusammenlagerung mit anderen Lagerklassen ist nicht vorgesehen.
Auch für Druckgase (GHS04, Gasflaschenpiktogramm) gibt die Suva-Checkliste nicht klar nachvollziehbare Kompatibilitäten an – so wird eine Zusammenlagerung von Gasflaschen mit ätzenden Stoffen (GHS05) und mit Oxidationsmitteln (GHS03) unter gewissen Bedingungen erlaubt – eine Zusammenlagerung mit reizenden (GHS07) oder umweltgefährdenden (GHS09) Stoffen wird jedoch ausgeschlossen. Der Lagerleitfaden fordert für Gase ab 100 kg Separatlagerung – am besten in nicht unterkellerten frei stehenden Gebäuden oder in Gitterverschlägen.

Fazit

Die Verträglichkeitstabelle in der neuen Suva-Checkliste «Galvanotechnik» ist mit Vorsicht anzuwenden. Sie kann allenfalls als grobe Richtschnur für eine erste Einschätzung dienen und sie deckt die häufigsten Unverträglichkeiten ab, die sich in der Galvanotechnik ergeben. Die Tabelle vermag jedoch nicht den Lagerleitfaden der Kantone zu ersetzen, um ein Gefahrstofflagerkonzept zu entwickeln. Und: Bei beiden Systemen zur Beurteilung der Zusammenlagerung von Gefahrstoffen bleibt am Ende ein Blick in die Sicherheitsdatenblätter notwendig. Produkt­spezifische Unverträglichkeiten gemäss Kapitel 10 und Lagervorschriften gemäss Kapitel 7 des Sicherheitsdatenblattes sind immer zusätzlich zu beachten.

Nützliche Links: 

Galvanotechnik-Checkliste der Suva: suva.ch/67201.d

Lagerleitfaden: kvu.ch/de/arbeitsgruppen?id=151

VKF-Brandschutzvorschriften: bsvonline.ch/de/vorschriften

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