«Teamsplittung galt zunächst als Schimpfwort»

Die Pandemiewelle hat dazu geführt, dass durch ein Teamsplitting viele Aufgaben anders erledigt werden als zuvor. Aber entsteht dadurch auch ein neues Bewusstsein? Eine Krisenmanagerin gibt eine Einschätzung, welche Lehren die einzelnen Unternehmen aus der Krise bereits gezogen haben.

Teamsplitting
© R. Strässle

Frau Eger, die erste Pandemiewelle hat Unternehmen weltweit vor enorme Herausforderungen gestellt. Seither haben sich in vielen Betrieben personelle Ressourcen stark verändert. Konnte überhaupt eine Lernkurve genutzt werden? Verschnaufpausen gab es praktisch keine.

Almut Eger, Notfall- und Krisenmanagement, Geschäftsleitung 4m2s: Ja, ich stelle in vielen Betrieben eine sehr steile Lernkurve fest: Aus dem anfänglichen Unverständnis gegenüber einer völlig neuen Situation ist vielfach ein gutes Selbstvertrauen entstanden, wie das eigene Unternehmen gesteuert werden kann. Die Abläufe sind bekannt, die ge­änderten Arbeitsbedingungen eingespielt. Das heisst nicht, dass nicht ganz viele an der Grenze zur Überlast kratzen oder diese überschritten haben. Gerade Entscheidungsträger und Personen, die in der Steuerung der ausserordentlichen Aktivitäten sitzen, haben Unglaubliches geleistet und ich wünsche allen, dass die Feiertage des Jahres 2020 auch für das Aufladen der Batterien genutzt werden konnten. Denn diese ausserordentliche Situation wird uns noch eine Weile begleiten und uns weiterhin viel abverlangen …

Wurde nun deutlich, wer ein funktionierendes BCM implementiert hat und wer nicht?

Ja, das war sehr signifikant – in allen Branchen und Unternehmensgrössen. Es geht hier vor allem um die Sicht auf die wirklich prioritären Dinge, damit ein Unternehmen auch eine lange Durststrecke durchstehen kann. Und dazu gehört auch das Wissen, wie diese Prioritäten beeinflusst werden können, von intern und extern. Und es stellen sich Fragen: Wie beispielsweise wird erkannt, ob und warum nun andere Themen prioritär sind – anders, als bislang angedacht? Wie kann rasch erkannt werden, wenn externe Einflüsse Prioritäten verschieben – und soll darauf reagiert werden, ja oder nein? Und wenn ja: wie? Ein kleines, aber wichtiges Alltagsbeispiel dazu ist der neu sehr hohe Anteil der digitalen Kommunikation: Diese Art der Kommunikation erfordert viel mehr Zeit, um sich zu verstehen und zu koordinieren. Das führte zu Beginn zu viel Reibungsverlust, «Sand im Getriebe». Es mussten Prozesse und Abläufe geändert werden, um diesen Zeitverlust zu kompensieren.

Wann und bei welchen Branchen wurden BCM-Strategien zuletzt überarbeitet?

All das, was vorher «eh da» war, musste nun spezifisch organisiert werden. Wer sich dessen bewusst war, erlitt viel weniger Reibungsverluste. Bei allen personalintensiven Unternehmen respektive in den «Bürojobs» wurde sehr zielgenau reflektiert, unter welchen Arbeitsbedingungen eine möglichst positive Leistung erbracht werden kann. Beispielsweise wurde erkannt, dass Homeoffice nicht nur vom Arbeitsplatz abhängt, sondern auch von der Erreichbarkeit der ICT, angefangen bei der Bandbreite über konforme Übermittlungen bis hin zum Datenschutz. Nehmen wir zum Beispiel die digitale Unterschrift: Welche Infrastruktur brauche ich, um diese Unterschrift zu leisten? Der ganze Dokumentenfluss musste sich dadurch ändern, und zwar schnell. Denn die fehlenden Unterschriften haben vielerorts zu Compliance-Problemen geführt. Ausserdem: Für etwas, wozu man vorher wenige Minuten gebraucht hat, braucht man nun ein Vielfaches davon. Beispielsweise auch bei Besprechungen in Bauphasen im Projektmanagement war nun auf einmal ein unglaublicher Mehraufwand an Koordination gefragt.

Wie haben sich die Unternehmensprozesse allgemein im Krisenmanagement seit dem ersten Lockdown verändert? Sie erwähnten vor einem Jahr ein erforderliches Teamsplitting und eine klare Prioritätenliste.

Teamsplitting galt vor einem Jahr zu Beginn der Pandemie noch als Schimpfwort. Heute ist es ein allseits anerkanntes Codewort für das Aufrechterhalten einer Leistung. Bei der Arbeit bleiben, auch wenn man leicht erkrankt ist und wo möglich die Dinge von zu Hause aus erledigt, war ebenso ein heiss umstrittener Punkt. Heute ist dies wieder eine Selbstverständlichkeit, wie sie es die Jahre zuvor auch war.

Schon nur den Gedanken zu fassen, dass Mitarbeitende in Quarantäne weiterarbeiten können und «wollen» und dass dies ein Vorteil ist: Dieser Gedanke war im März noch völlig abstrus. Den meisten Unternehmern ist das inzwischen jedoch klar geworden und sie müssen darauf zurückgreifen. Viele Mitarbeitende wollen lieber in die Quarantäne und effizienter weiterarbeiten, statt im Office zu bleiben.

Mit solchen Prozessen musste man aber dennoch erst lernen, umzugehen. Hat sich Homeoffice nun derart gut eingespielt?

Homeoffice und Videokonferenzen ersetzen die direkte Zusammenarbeit face to face nicht auf die Dauer. Aber sie können gezielt eingesetzt werden. Ein Kunde meinte: «Das ist wie ein langes Trainingslager – wir haben’s nun kapiert und können es anwenden. Können wir das Training nun bitte beenden und wieder zur Tagesordnung übergehen?» Nein, können wir natürlich nicht. Denn wir leben nun in der neuen Tagesordnung. Das heisst: Wir müssen die Errungenschaften der letzten Monate nun gezielt einbauen in die neuen Arbeitsformen und die neuen Wege zur gegenseitigen Unterstützung und Belieferung. Insofern haben sich die Prioritäten teils verschoben, zum Teil auch einfach ergänzt. Die aktuelle Krise erfordert bei einer Krisenmanagement-Situation viel Durchhaltewillen.

Das ausführliche Interview lesen Sie in der Print-Ausgabe SicherheitsForum vom 3. März 2021.

 

 

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