Arbeitsfehler sind menschlich verursacht

Prävention bei der Arbeitssicherheit trägt auch dazu bei, dass weniger Arbeits­fehler passieren. Die Spezialisten für Arbeitssicherheit kennen den Zusammenhang. Dem weiteren Management ist das wahrscheinlich noch nicht so bewusst.

Arbeitsfehler sind menschlich verursacht
Verletzungen am oder in der Nähe des Arbeitsplatzes sind meist nicht selbst verschuldet. Noch fataler wäre es, unter keinen Umständen Arbeitsfehler begehen zu wollen. Bild: depositphotos

Mängel bei der Arbeitssicherheit belasten die Effektivität von Arbeitsprozessen in mehrfacher Hinsicht. Fühlen wir uns nämlich von ­einer Gefährdung bedroht, vergewissern wir uns permanent, ob wir noch ausreichend geschützt sind. Solch eine diffus empfundene Angst lenkt von der eigentlichen Arbeitsaufgabe ab. Sie bewirkt möglicherweise sogar Hektik. Weil wir aus diesem unangenehmen Empfinden möglichst schnell herauskommen möchten, beschleunigen wir die Ausführung der Arbeitsaufgabe. Wir sind weniger achtsam und lassen bestimmte notwendige Arbeitsgänge und Kontrollen einfach weg.

Arbeitsfehler sind menschlich

Kommen Arbeitsfehler häufiger vor oder handelt es sich um einen schwerwiegenden Einzelfehler, wird nach den Ursachen gesucht. Wir unterscheiden dann systematische und menschlich bedingte Abweichung vom Soll. Systematische Fehler sind es, wenn sie aufgrund nicht eingehaltener Normen entstanden sind oder weil Arbeitsmittel defekt, falsch bzw. ungenau eingestellt waren. Systematisch bedingte Fehler lassen sich zielgenau eingrenzen und dauerhaft beheben. Stellt sich jedoch heraus, dass alle Arbeitsmittel einwandfrei funktionieren, Organisation und Vorgaben stimmig sind, bleibt als ­Erklärung allein noch das sogenannte menschliche Versagen. Resultiert dieses nicht aus mangelhaftem Können, scheint damit alles abschliessend geklärt zu sein.

Geben wir uns mit dieser schlichten Antwort zufrieden und haben wir das Übel nicht an der Wurzel gepackt, werden sich diese oder ähnliche Fehler wieder­holen. Das Schlimme daran ist, dass menschliche Fehler nicht systematisch auftreten, sondern sich zeitlich und örtlich verschieden einstellen. Ungeachtet der getroffenen Unterscheidung, sind auch die systematischen Fehler menschlich verschuldet, nur auf einer anderen Stufe des arbeitsteiligen Arbeitsprozesses oder ausgehend von äusseren Einflüssen.

Arbeitsfehler sind arbeitsrechtlich problematisch

Das deutsche Bundesarbeitsgericht (BAG) hat beispielsweise klargestellt: «Der Arbeitnehmer muss tun, was er soll, und zwar so gut, wie er kann.» Er schuldet das «Wirken» und nicht das «Werk» (BAG 31.5.1992 – 2 AZR 551/91; BAG, 17.01.2008 – 2 AZR 536/06). Selbst eine dreifach höhere Fehlerquote als der Abteilungsdurchschnitt berechtigt noch nicht zur Kündigung (BAG, 17.01.2008 – 2 AZR 536/06). Vor allem aber muss ausgeschlossen sein, dass das Problem beim Betriebsablauf liegt, etwa in suboptimalen Arbeitsprozessen, schlechten Arbeitsbedingungen, Arbeitsgerät oder Fehlern in der Personalführung (BAG 17.01.2008 – 2 AZR 536/06).1).

Arbeitskräfte haben also begangene Arbeitsfehler niemals a priori zu verantworten. Stets sind die Bedingungen, unter denen Arbeit geleistet wird, ausschlag­gebend. Demzufolge muss jede Null-Fehler-Strategie ihr Hauptaugenmerk auf die Arbeitsbedingungen richten, wenn sie Erfolg haben soll.

In den Publikationen der Suva sowie in den Vorschriften und Richtlinien der EKAS und VUV (Verordnung über die Unfallverhütung) finden wir konkrete Ansätze für die Ermittlung von Fehlerursachen und deren Ausschaltung. Sie bieten sich als Grundlage einer Checkliste mit beispielsweise folgenden Punkten an:

  • Lärm in der Arbeitsumgebung
  • Vibration in der Arbeitsumgebung
  • Beleuchtung von Arbeitsplatz und -umgebung
  • Explosions- und Brandgefahr in der Arbeitsumgebung
  • Instandhaltung und Abfallbeseitigung
  • Mechanische Gefahren, beispielsweise durch Geräte
  • Stolper- und Sturzgefahr, z.B. durch rutschige Böden und Treppen, Schwellen, Hindernisse auf Verkehrswegen
  • Gesundheitsgefährdende Stoffe, z.B. durch Gase, Flüssigkeiten, Dämpfe von Chemikalien wie Reinigungs- oder Lösemittel
  • Belastungen des Bewegungsapparats, z.B. durch Lastentransport, schlechte Ergonomie
  • Belastungen durch Arbeitsumgebungen, z.B. durch Raumklima, Hitze, Feuchtigkeit usw.
  • Physikalische Belastungen, z.B. durch Lärm, UV-Strahlung
  • Psychosoziale Belastungen, z.B. durch schlechte Arbeitsorganisation, hohen Arbeitsdruck, Hektik, unregelmässige Arbeitszeiten usw.

Darauf beruhende Mängel können ­Augenbeschwerden auslösen, Übermüdung und Leistungsabfall herbeiführen. Konzentrationsmängel, Müdigkeit, Unpünktlichkeit, Vergesslichkeit, Aggressivität oder auch Verdauungsstörungen und Bluthochdruck sind dann Frühwarnzeichen einer Auslösung von Arbeitsfehlern.

Psychologische Aspekte bei Arbeitsfehlern

Oft wird die Schuld an Arbeitsfehlern vorschnell einer bestimmten Person oder Gruppe zugeordnet. Nicht selten gehen damit drohende Ermahnungen und schwerwiegende Vorwürfe einher. Eine Arbeitskraft mit hoher Fehlerquote dürften wir nicht ohne Weiteres entlassen. Stattdessen sollen wir sie möglichst ­akzeptieren, wie sie ist. Die individuelle menschliche Natur können wir schwerlich ändern. Zweifellos verfügt eine anscheinend unfähige Person auch über Stärken. Sobald es gelingt, sie zu erkennen, lassen sich die gestellten Anforderungen vielleicht sogar an die Potenziale der betreffenden Person anpassen. Es ergibt sich daraus dann ein Win-win-­Erfolg, der einen eventuell drohenden ­Arbeitsstreit zu vermeiden hilft.

Achtung, eine rigide Präventionsstrategie gegenüber Arbeitsfehlern ist nicht harmlos. Sie kann einen übersteigerten Ehrgeiz hervorrufen oder gar zu strikten Verboten führen. Betroffene wollen da­raufhin unbedingt selbst geringfügigste Arbeitsfehler vermeiden, wie ein Buchhalter. Noch fataler ist es, unter gar keinen Umständen einen Arbeitsfehler begehen zu dürfen, wie ein Chirurg. Beide Motivationen können schwere psychosoma­tische Belastungsstörungen auslösen. Werden sie nicht psychotherapeutisch behandelt, sind vielfältige gesundheitliche Schäden zu befürchten. Sie können daneben auch Ursache neuer menschlich bedingter Arbeitsfehler sein.

Fazit

Die technische Organisation der Arbeitsprozesse, einschliesslich des Managements von Arbeitsfehlern einerseits und andererseits der Zuständigkeiten für die Arbeitssicherheit, obliegt betriebsorganisatorisch autarken Stellen. Wir möchten hier zu Überlegungen anregen, wie beide Strukturen enger miteinander verzahnt werden können.

Dieser Fachartikel erschien in der gedruckten Ausgabe SAFETY-PLUS 1-2022. Sie wollen den ganzen Artikel in dieser Ausgabe lesen? Dann schliessen Sie gleich hier ein Abonnement ab.

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