Gefahrstoffe: Die Tücken des Furfurylalkohols

Die Störfallverordnung regelt den Schutz von Bevölkerung und Umwelt vor schweren Schädigungen durch Störfälle, die sich in Betrieben, auf Verkehrswegen oder an Rohrleitungen ereignen können. Betriebe sind dann von der Störfallverordnung betroffen, wenn gewisse Mengenschwellen für Stoffe, Zubereitungen oder Sonderabfälle überschritten werden. Die Bestimmung dieser Mengenschwellen ist nicht immer einfach.

Störfallverordnung
Grundlage für die Bestimmung von Mengenschwellen ist ein vollständiges Gefahrstoffinventar mit Angaben zu Art und Menge von Chemikalien im Betrieb. © depositphotos

Am 01.04.1991 trat in der Schweiz die Verordnung über den Schutz vor Störfällen, kurz Störfallverordnung (StFV), in Kraft. Sinn und Zweck der Verordnung ist es, die Bevölkerung und die Umwelt vor schweren Schäden durch Störfälle zu schützen. Mit der Revision der StFV am 01.06.2015 änderte sich nichts am Zweck, sehr wohl verändert haben sich aber die Bestimmungen, welche Betriebe von der StFV betroffen sind: Mit der Anpassung an das global harmonisierte System zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien (GHS) wurde vieles übersichtlicher. Auf einige Fallstricke sollte man allerdings gefasst sein, wie die folgenden zwei Beispiele zeigen. Im Folgenden konzentrieren wir uns auf Betriebe, welche mit chemischen Stoffen umgehen.

Mengenschwellen ermitteln

Falls die maximale Lagermenge eines Gefahrstoffs oder eines Sonderabfalls oberhalb der Mengenschwelle gemäss StFV liegt, so ist der Betrieb verpflichtet, einen Kurzbericht zuhanden der Behörden zu erstellen. Gegebenenfalls sind in der Folge risikomindernde Massnahmen baulicher oder technischer Art erforderlich. Betriebe haben ein Interesse, unterhalb der Mengenschwelle zu bleiben, um sich diesen Mehraufwand zu sparen und gleichzeitig mit geringeren Mengen an Gefahrstoffen am Standort das Risiko durch einen Störfall zu minimieren. Dasselbe Interesse hat auch die Bevölkerung.

Mengenschwellen werden auf verschiedenen Wegen ermittelt: Für eine Auswahl von Stoffen und Gemischen sind in Anhang 1.1 der StFV die Mengenschwellen (MS) angegeben. Explizit genannt sind alltägliche Produkte wie Benzin (MS: 200 t), Diesel (MS: 500 t) oder das Schweissgas Acetylen (MS: 5 t), aber auch besonders gefährliche Industriechemikalien wie Chlorgas (MS: 200 kg). Für Sonderabfälle sind in Anhang 3 der Verordnung des Uvek über Listen zum Verkehr mit Abfällen die Mengenschwellen nach LVA-Code gelistet.

Für Stoffe und Zubereitungen, die nicht gelistet sind, wird die Mengenschwelle aus den Stoffeigenschaften abgeleitet. Hier hat die Revision der StFV von 2015 einiges verändert: Ursprünglich wurden diverse Kriterien aus verschiedenen Klassierungssystemen herangezogen. So wurden für Brand- und Explosionseigenschaften unter anderem der Brandgefährlichkeitsgrad nach SI (F1-F4, O1-O3 usw.), die europäische chemikalienrechtliche Klassierung (E, F+, F, O, R10) und der Flammpunkt (über oder unter 50 °C) betrachtet. In der revidierten Verordnung «Neu» ist die Einstufung eines Stoffes oder Gemisches gemäss EU-CLP-Verordnung ausschlaggebend. Ausgedrückt wird dies in den zugeordneten H-Sätzen und EUH-Sätzen. Die entsprechenden Kriterien finden sich ebenfalls im Anhang 1.1 der StFV. Die Bestimmung der Mengenschwellen vereinfacht sich damit, da in Betrieben mit grösseren Gefahrstoffmengen in der Regel bereits Gefahrstofflagerkonzepte und Stofflisten vorliegen, in welchen die H-Sätze und EUH-Sätze erfasst sind.

Eine spezielle Regelung betrifft hochaktive Stoffe, welche in kleinsten Dosen schädigend auf den Menschen wirken können. Ausschlaggebende Kriterien sind besonders niedrige Arbeitsplatzgrenzwerte und Effektdosen. Neben stark krebserregenden Substanzen können auch pharmazeutische Wirkstoffe betroffen sein. Die Mengenschwelle für hochaktive Stoffe liegt entsprechend tief, bei 20 kg.

Als Hilfsmittel zur Ermittlung der Mengenschwelle hat das Bafu ein Handbuch zur Störfallverordnung veröffentlicht. In dieser Vollzugshilfe ist eine Liste mit Mengenschwellen gemäss Störfallverordnung für häufig verwendete Stoffe enthalten. Ausserdem stellt das Bafu auf seiner Webseite einen Mengenschwellenrechner im Excel-Format zur Verfügung, welcher basierend auf den H-Sätzen eines Produkts die korrekte Mengenschwelle angibt. Wo liegen nun mögliche Probleme?

Beispiel Furfuryl­alkohol

Betrachten wir als Beispiel Furfuryl­alkohol. Der Stoff wird zur Herstellung von Furanharzen verwendet. Er ist nicht hochaktiv und auch nicht namentlich in der StFV gelistet. Die Zuordnung der Mengenschwelle erfolgt also über die CLP-Einstufung. Gemäss der «Liste der harmonisierten Einstufung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe» (Anhang VI der EU-CLP-Verordnung) wird Furfurylalkohol unter anderem dem Gefahrenhinweis H331 «Giftig bei Einatmen» zugeordnet. Daraus ergibt sich die Mengenschwelle von 2000 kg. Denselben Wert findet man im Handbuch zur Störfallverordnung des Bafu.

Widersprüche können auftreten, wenn man sich auf eine andere Informationsquelle, zum Beispiel dasSicherheitsdatenblatt, stützt. Manche Hersteller stufen Furfurylalkohol strenger ein: Gestützt auf Tierversuche, welche einen LC50-Wert (Ratte, Inhalation, 4 h) von 0,9 mg/L ergaben, wird der Stoff als H330 «Lebensgefahr bei Einatmen» klassiert. Diese Einstufung findet sich auch in der GESTIS-Stoffdatenbank des Instituts für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung IFA und in verschiedenen Registrierungsdossiers für Furfurylalkohol bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA).

Das heisst, die Mengenschwelle, die anhand der Informationen im Sicherheitsdatenblatt ermittelt wird, stimmt unter Umständen nicht mit der Vollzugshilfe des Bafu überein. Im Fall von Furfurylalkohol ist dies durch eine strengere Beurteilung mancher Hersteller begründet. Denkbar ist aber auch, dass in einem Sicherheitsdatenblatt ein Fehler vorliegt. Es kann sich daher lohnen, bei der Bestimmung von Mengenschwellen fallweise etwas genauer zu recherchieren und insbesondere die Vollzugshilfe des Bafu zu konsultieren. Vielleicht ergibt sich für ein Produkt eine höhere Mengenschwelle, als die Angaben im Sicherheitsdatenblatt erwarten lassen.

Beispiel Natriumchlorid

Als zweites Beispiel wird ein Reinigungsprodukt betrachtet, welches Na­triumchlorit enthält. Natriumchlorit reagiert mit Säuren zu Chlordioxid, einem stark lungenschädigenden Gas. Zahlreiche ECHA-Registranden stufen den Stoff mit EUH032 «Entwickelt bei Berührung mit Säure sehr giftige Gase.» ein. Der Stoff ist in der Bafu-Vollzugshilfe aufgeführt, mit einer Mengenschwelle von 200 kg.

Bei reinem Natriumchlorit ist diese Mengenschwelle sinnvoll. Aber was, wenn der Stoff mit nur wenigen Prozent in einem Gemisch enthalten ist? Derartige Produkte werden oft ebenfalls mit EUH032 eingestuft, womit auch ihre Mengenschwelle bei 200 kg liegt – auf das gesamte Produkt bezogen! Hier besteht ein Problem, nicht in der Störfallverordnung, sondern in der europäischen CLP-Verordnung. Für die meisten Einstufungskriterien ist geregelt, wie mit Gemischen, also verdünnten Stoffen, zu verfahren ist.

Doch für das Kriterium EUH032 «Entwickelt bei Berührung mit Säure sehr giftige Gase» fehlt ein solches Verdünnungsprinzip. Es liegt an den Herstellern, zu entscheiden, wie ihr Produkt einzustufen ist. Indem sich ein Hersteller selbst absichert und eine vorsichtige Einstufung für sein chlorithaltiges Produkt wählt, bewirkt er also unter Umständen, dass seine Kundschaft zu einem Störfallbetrieb wird.

Eine Lösung für diese unbefriedigende Situation liegt im Moment noch nicht vor, ist aber möglicherweise in Sicht. Eine Nachfrage beim Bafu ergab, dass die Aufnahme von Natriumchlorit-haltigen Gemischen in die Vollzugshilfe des Bafu und die Festlegung eines entsprechenden Konzentrationsgrenzwertes geprüft wird.

Wir sehen: Die Mengenschwellen sind nicht in Stein gemeisselt, sondern können sich ändern, wenn neue Befunde vorliegen. Angesichts der Komplexität des Chemikalienrechtes und der Vielfalt von gefährlichen Stoffen werden Aktualisierungen und Präzisierungen immer wieder notwendig sein. Es lohnt sich daher, die Mengenschwellen im Betrieb ab und zu nachzukontrollieren und auf Veränderungen zu prüfen – selbst wenn das Gefahrstoffinventar unverändert blieb.

Handbuch zur Störfallverordnung
Das Handbuch zur Störfallverordnung des Bafu ist eine modular aufgebaute Vollzugshilfe. Der vorliegende «Allgemeine Teil» erläutert die allgemeinen Pflichten und Aufgaben der Inhaber von Betrieben, Verkehrswegen und Rohrleitungsanlagen sowie diejenigen des Bundes und der Kantone. Es verweist jeweils am Ende der einzelnen Kapitel auf die anlagenspezifischen Module, wenn diese weiterführende anlagenspezifische Erläuterungen und Hinweise enthalten.

Dieser Fachartikel erschien ursprünglich in der gedruckten Ausgabe SAFETY-PLUS 4-2021.

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Quelle: Neosys

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